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Unerwartete Überraschung in Bad Camberg in Hessen

Unerwartete Überraschung in Bad Camberg in Hessen

Seit dem 19. Jahrhundert findet in vielen Gegenden zusätzlich oder gesondert zum Beginn der „normalen“ Fastnachtszeit am Dreikönigstag, dem 6. Januar, bereits am 11. November, dem „Elften im Elften“, ab 11:11 Uhr die offizielle Eröffnung der Karnevalssession statt, was wir bei unserem Besuch in Bad Camberg natürlich so nicht auf dem Schirm hatten.

So waren wir auf der Suche nach interessanten Fotomotiven an der Bebauung entlang der Stadtmauer auf ein altes Tor gestoßen, dass unser Interesse geweckt hatte. Schon wenig später waren wir von verkleideten Bürgern umgeben, die uns über das Datum und den damit einhergehenden Beginn der Karnevalszeit, zumindest hier in Bad Camberg, aufklärten. Nun mag man ein Freund der Verkleidung und dieses Volksfestes sein oder die Region aufgrund der Abneigung gegen dieses Fest die Region verlassen, interessant war die Erkenntnis, dass sich eine große Anzahl verkleideter Bürger auf dem Marktplatz versammelt hatte und fröhlich singen und tanzen konnte, trotz all der herrschenden Probleme und des Krieges.

Martinstag der Endtermin des bäuerlichen Jahres

bad camberg carneval 1Was nun aber hatte gerade der 11.11. um 11 Uhr 11 so besonderes, dass der Karneval oder vielleicht im Wortstamm besser erklärend die „Fastnachtszeit“ beginnt, denn hierin steckt auch das Wort „Fasten“. Hintergrund ist, dass es auch vor Weihnachten bereits kurz nach der Fixierung des Festes im Jahr 354 eine vorbereitende vierzigtägige Fastenzeit gab, ähnlich der österlichen Fastenzeit nach Karneval. Sie begann am 11. November, dem so genannten Martinstag. Es galt, noch die vorhandenen Lebensmittel zu verzehren, die nicht „fastenzeittauglich“ waren, wie Fleisch, Fett, Schmalz, Eier und Milchprodukte. Auch war der Martinstag der Endtermin des bäuerlichen Jahres, an dem die Pacht fällig wurde und das Gesinde wechselte.

In der von Byzanz beeinflussten Christenheit lag der Martinstag am Beginn der Fastenzeit, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein – in den orthodoxen Kirchen teilweise bis heute – vor Weihnachten begangen wurde. Am letzten Tag vor Beginn dieser Fastenzeit konnten die Menschen – analog zur Fastnacht – noch einmal richtig schlemmen.

bad camberg carneval 2Daneben war der Martinstag das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres, neuer Wein konnte probiert werden, es war der Termin für den Viehabtrieb oder das Ende des Weidejahres sowie der traditionelle Tag, an dem die Entrichtung des Zehnten fällig war.

Die Steuern wurden früher in Naturalien bezahlt, auch in Gänsen. An diesem Tag begannen und endeten Dienstverhältnisse, Pacht-, Zins- und Besoldungsfristen. Später wurde auch der Tag des heiligen Leonhard von Limoges, des Schutzpatrons des Viehs, am 6. November hierfür genannt.

Landpachtverträge beziehen sich bis heute noch häufig auf Martini als Anfangs- und Endtermin, da der Zeitpunkt dem Anfang und Ende der natürlichen Bewirtschaftungsperiode entspricht. Der Martinstag wurde deshalb auch Zinstag genannt.

bad camberg carneval 4Die Zeit vom 12. November bis 5. Januar bleibt aber selbst in den Zentren des Karnevals entlang des Rheins weiterhin weitgehend karnevalsfrei, was sich aus der erwähnten vorweihnachtlichen Fastenzeit, der Rolle des Novembers als Trauermonat und dem besinnlichen Charakter des Advents erklärt. Soweit von einer „Vorverlagerung“ des Karnevalsbeginns oder von einer „Saisoneröffnung“ am 11. November gesprochen wird, ist dies daher zumindest irreführend. Von seiner Entstehungsgeschichte her stellt der 11. November vielmehr einen zweiten, „kleinen“ Karneval dar.

Allerdings werden insbesondere im Umland immer mehr Karnevals-Sitzungen in dieser Zeit – auch bereits vor dem 11. November – veranstaltet, weil dann die meisten auftretenden Künstler preiswerter sind als in der Hauptsaison, wo sie viele Auftritte an einem Abend haben. Im Januar beginnt die närrische Zeit insbesondere in den Hochburgen mit der Vorstellung der neuen Regenten, der Prinzenproklamation.

Die Mächtige und der Niedere sind gleichgeachtet

bad camberg carneval 5Vorläufer des Karnevals wurden bereits vor 5000 Jahren in Mesopotamien gefeiert, im Land mit den ersten urbanen Kulturen. Eine altbabylonische Inschrift aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. gibt Kunde davon, dass unter dem Priesterkönig Gudea ein siebentägiges Fest gefeiert wurde und zwar nach Neujahr als symbolische Hochzeit eines Gottes.

Die Inschrift besagt: „Kein Getreide wird an diesen Tagen gemahlen. Die Sklavin ist der Herrin gleichgestellt und der Sklave an seines Herrn Seite. Die Mächtige und der Niedere sind gleichgeachtet.“ Hier wird zum ersten Mal das Gleichheitsprinzip bei ausgelassenen Festen praktiziert und dies ist bis heute ein charakteristisches Merkmal des Karnevals.

In allen Kulturen des Mittelmeerraumes lassen sich ähnliche Feste, die meist mit dem Erwachen der Natur im Frühling in Zusammenhang stehen, nachweisen: In Ägypten feierte man das ausgelassene Fest zu Ehren der Göttin Isis und die Griechen veranstalteten es für ihren Gott Dionysos und nannten es Apokries.

Die Römer veranstalteten bereits farbenprächtige Umzüge

bad camberg karneval 3Die Römer schließlich feierten vom 17. Dezember bis 19. Dezember die Saturnalien zu Ehren ihres Gottes Saturnus.

Das Fest war verbunden mit einem öffentlichen Gelage, zu dem jedermann eingeladen war. Hinrichtungen wurden wegen der Saturnalien verschoben.

Sklaven und Herren tauschten zeitweise die Rollen, feierten und saßen gemeinsam myrtenbekränzt bei Tische, tranken und aßen, konnten jedes freie Wort wagen und überschütteten sich mit kleinen Rosen. Aus den Rosen entstand möglicherweise das in unseren Tagen bekannte Konfetti.

Die Römer veranstalteten bereits farbenprächtige Umzüge, bei denen ein geschmückter Schiffswagen umhergezogen wurde.

bad camberg karneval 6Jedoch werden in der aktuellen Forschung Termine wie Saturnalien oder Lupercalien als Ursprung des Fastnachtsbrauchtums stark angezweifelt. In vielen Masken, Figuren und Bräuchen scheinen sich auch vorchristliche Riten, beispielsweise solche der keltischen Religion, erhalten zu haben, die den Wechsel vom kalten Winterhalbjahr in das warme und fruchtbare Sommerhalbjahr beinhalten.

Den Winter habe man versucht zu vertreiben, indem man sich als Geister, Kobolde und unheimliche Gestalten aus der Natur verkleidete und mit Holzstöcken wild um sich schlug oder mit einer Rassel oder Ratsche (Schnarre) Lärm machte. Bei Fasnachtsbräuchen in Tirol und Südtirol findet die Symbolisierung des Kampfes zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen Frühling und Winter immer noch statt. Beispielhaft dafür ist der Egetmannumzug in Tramin oder das Mullerlaufen in Thaur.

bad camberg karneval 7Germanische Theorien (sogenannte Kontinuitätsprämissen) hatten insbesondere während des Nationalsozialismus Konjunktur, werden heute aber teilweise unbewusst noch immer zitiert. Die Skepsis gegenüber allen Theorien, die eine Überlieferung germanischen oder keltischen Brauchtums annehmen, hält seit 1945 ungebrochen an. Es ist aus diesem Grund davon auszugehen, dass über mehrere Jahrhunderte keine Feste ähnlich der Fastnacht stattfanden, sondern diese eher im hohen und späten Mittelalter mit der Fastenzeit entstanden.

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