Baumeister Sinan - ein bescheidenes Genie
- Geschrieben von Portal Editor
Auf unseren Reisen durch die historisch bedeutenden Orte der Türkei trafen wir recht häufig auf den Namen des großen Baumeisters und Architekten der osmanischen Epoche Koca Mimar Sinan, der „altehrwürdige Baumeister Sinan“.
Gleichgültig ob Moschee, Aquädukt,Hamam oder Mausoleum, die Bauwerke Sinans trifft man an vielen Orten.
Während eines Feldzugs gegen die Perser sollte Sinan Schiffe bauen, um die Truppen über den Van See zu bringen, was ihm die Aufmerksamkeit des Sultans Süleyman I brachte. So wurde Sinan, trotz seines damals schon hohen Alters von über 50 Jahren zum Haus- und Hofarchitekten des Sultan Süleyman I ernannt. Und rasend schnell konnte Sinan seine Pläne für Moscheen, Aquädukte und Hamams dank des großen Zuspruchs des Sultans umsetzen. In den wenigen Jahren bis zu seinem Tod im Alter von 97 Jahren waren es am Ende mehr als 470 Bauwerke, die er mit unglaublichem Fleiß und stetig wechselnden Ideen umsetzen konnte. Allein in Istanbul sind 42 Moscheen nach den Plänen Sinans gebaut worden. All die Pracht, mit der sich Sultan Süleyman I umgeben hat, wurde erst durch den Baumeister Sinan möglich.
Bis zu seinem Tod blieb der großartigste Baumeister des Osmanischen Reichs ein bescheidener, gottergebener Mensch, der selbst im Tod diese Bescheidenheit nicht aufgegeben hat. So ist er in einer von ihm selbst entworfenen, bescheidenen Türbe im Süleymaniye Bereich in Istanbul bestattet.
Istanbul und Sinan, der Baumeister
Dieser Anblick zeigt nicht nur eine unübersehbare Parallele, er zeigt eine Kontinuität!
Tatsächlich sind die Parallelen gerade zwischen Süleyman und Justinian frappierend. Beiden unterstand ein Reich auf seinem Höhepunkt, ein Riesenreich, dessen Grenzen sich übrigens fast deckten. Als Süleyman 1520 im Alter von 26 Jahren den osmanischen Thron bestieg, übernahm er, wie schon seine Vorgänger, auch byzantinische Gebräuche und protokollarische Formen. Beide, Justinian wie Süleyman, gaben das Geld mit vollen Händen im Sinne der Staatsraison aus, und beide konnten es sich leisten. Obwohl er für das habsburgische Europa das Symbol der muslimischen Bedrohung schlechthin war - stand er doch schon vor Wien und versuchte durch die Eroberung von Malta die Kontrolle über das Mittelmeer an sich zu reißen, was ihm übrigens beides misslang -, kennt man Süleyman also im Westen nicht umsonst als den "Prächtigen". In der Türkei nennt man ihn den "Gesetzgeber", auch das eine Parallele zu Justinian und dessen Gesetzessammlung Codex Justinianus. Ein sehr viel sagender Beiname, zeigt er doch die Bedeutung, die der Kodifizierung und Durchsetzung von Gesetz und Ordnung, innerem Frieden und Wohlstand unter seiner Herrschaft zukamen.
Da haben wir also einen Herrscher, der Macht und Reichtum besaß und beides großzügig in Architekturprojekte und gemeinnützige Stiftungen, in die Förderung von Kunst und Kultur und in alle Zeichen kaiserlicher Prachtentfaltung stecken wollte. Und so wie unter Justinian Anthemios von Tralles und Isidorus von Milet in nie gekannter Kühnheit die Kuppel über dem riesigen Innenraum der Hagia Sophia wölbten, so erscheint auch unter Süleyman ein genialer Baumeister, Sinan.
Sinan war vermutlich 1489 in Zentralanatolien als Christ entweder griechischer oder armenischer Herkunft zur Welt gekommen und 1588 in Istanbul als Moslem gestorben.
Als junger Mann war er Soldat, ein Ingenieur im Janitscharenkorps des Sultans und baute militärische Anlagen. Damals hieß sein oberster Dienstherr Selim der Gestrenge, der sich praktisch zeit seines Lebens im Krieg befand und das osmanische Reich kontinuierlich erweiterte. Damit vergingen die ersten fünfzig von Sinans Lebensjahren.
... und sein Architekt Sinan
In einem Alter, in dem bei vielen Menschen der Tatendrang schon beträchtlich nachlässt, begann Sinan seine eigentliche Karriere unter Selims Sohn Süleyman. Nach ein paar Zwischenschritten wurde er zum obersten Baumeister des Reiches ernannt. Einem Genie, wie es nur selten eines unter den Architekten gab, mit einer schier unerschöpflichen Schaffenskraft gesegnet, standen die ebenso unerschöpflichen Ressourcen eines Weltreiches auf seinem Höhepunkt und die ununterbrochene Unterstützung seines Herrschers zur Verfügung.
Welche Bedeutung die Hagia Sophia, damals schon die Moschee Aya Sofia, für Sinans Baukunst im Einzelnen hatte, darüber streiten sich die Gelehrten. Tatsache ist, dass dieses gewaltige, wunderschöne Bauwerk nun schon seit tausend Jahren unübersehbar dastand, dass Sinan sich ausgiebig mit ihm beschäftigte, allein schon, weil er mit Konsolidierungsaufgaben betraut war und zwei der vier Minarette gebaut hat, und dass die von Süleyman in Auftrag gegebene Moschee, die Süleymanye, ihr sehr ähnlich ist.
Das Ergebnis ist aber kein epigonenhafter Nachbau, sondern eine Anpassung an die neue Zeit und die für eine Moschee typischen Erfordernisse, also genau das, was man unter einer Renaissance versteht.
Parallelen zwischen der Hagia Sophia und der Süleymanye-Moschee
In Edirne, einer Stadt nahe der bulgarisch-griechischen Grenze, baute er für Süleymans Nachfolger Selim II. sein absolutes Meisterwerk, die Selimiye-Moschee. Mit ihrer riesigen Kuppel, fast so groß wie jene der Hagia Sophia, und ihren vier bleistiftdünnen, siebzig Meter hohen Minaretts, dominiert sie noch heute die Stadt. Sie wurde 1575 beendet, als Sinan 85 Jahre alt war.
Und er setzte sich immer noch nicht zur Ruhe. Er pilgerte nach Mekka, was auch für Jüngere eine große Anstrengung war, und baute, baute, baute bis zu seiner letzten Stunde.
Es heißt, er sei an den Folgen eines Arbeitsunfalls gestorben. Das würde gut zu ihm passen.
Sinans Bauwerke als "Weltkulturerbe"
Tatsächlich gibt es keinen anderen Architekten, der es mit Sinan allein vom Umfang seines Werkes her aufnehmen könnte.
Glücklicherweise fand er immer wieder großzügige Bauherren, die die Umsetzung dieses nie versiegenden kreativen Ideenstromes möglich machten.
Übrigens: Es gibt so gut wie keine Landkarten, die den Balkan und Anatolien auf demselben Blatt zeigen. Jahrhunderte alte Vorurteile haben dazu geführt, dass die Kartographen unbewusst immer einen Schnitt durch die Ägäis machen (s. Kitsikis).
Dieser Schnitt geht auch durch unsere Köpfe.
Wäre es nicht an der Zeit, Sinans geniales Werk als Menschheitserbe anzuerkennen und ihn endlich auch ins Bewusstsein der westlichen Welt zu rücken?
Autorin: Sabina Jarosch
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