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Einfach mal zuhören… Björn Kern © Qantara.de 2010

Einfach mal zuhören… Björn Kern © Qantara.de 2010

Im Rahmen des Yollarda-Projektes der EU und des Goethe-Instituts sind 48 europäische Schriftsteller in der Türkei zu Gast, unter ihnen auch der Berliner Autor Björn Kern - ein erhellender Erfahrungsbericht über gegenseitige Fehlwahrnehmungen und mediale Zerrbilder. 

Björn Kern: Wie gut, dass 'Yollarda' einem die Chance gibt, anders aufzutreten - und sei es nur, indem man einfach mal zuhört und fünf Wörter Türkisch lernt" "Oma-Apfelkuchen plus Kaffee: 2 Euro 50" steht auf der weiß getünchten Hauswand in der Morgensonne, und ich wundere mich, dass das da wirklich so steht, der etwas ungelenke Text auf Deutsch, die Preisangabe in Euro – begegnet mir das "Schnäppchen", wie es das Schild auf der Hauswand verkündet, doch inmitten der türkischen Mittelmeermetropole Antalya. Hier scheinen eigene Gesetze zu gelten, das lerne ich schnell, und schon wenige Minuten später wundert mich gar nichts mehr.

"Wo sie keine Euros nehmen, geh ich gar nicht erst hin!" ruft eine schwäbische Rentnerin ihrer Reisebegleitung zu, in einer Lautstärke, als würden die beiden von einer breiten Straße getrennt sein – und nicht mit eingehakten Armen nebeneinander laufen.

Ältere Türken, von Besuchern abgedrängt

"Was?! Du zahlst deinen Flug selbst?!", empört sie sich wenig später, "Ich komm' immer auf Krankenschein!" Türkische Händler werden wie selbstverständlich auf deutsch angesprochen, am Stock gehende, ältere Türken vom Pulk der Rüstigen an den Straßenrand getrieben – die Deutschen sind da!

Auch ich bin Deutscher, auch ich bin da, aber nach diesen Eindrücken auch sehr schnell wieder weg – zumindest aus der "Kaleiçi" genannten Altstadt Antalyas. "Kaleiçi" bedeutet "zwischen den Mauern" und so lassen sich die Busstärken Schwaben und Bayern wenigstens kompakt wegschließen.

Ich bin nicht für "Oma-Apfelkuchen" hier und nicht für "Auge der Fatima extra poliert", sondern für "Yollarda", ein von der Europäischen Union gefördertes Mammutprogramm, das 48 Autoren in 24 Städte der Türkei bringt, um sie an Schulen und Universitäten aus ihren Büchern lesen zu lassen.

"Yollarda – European Literature Goes to Turkey/ Turkish Literature Goes to Europe" wird im Rahmen des Cultural Bridges Programms der EU gefördert und führt 48 namhafte Schriftsteller sowie zahlreiche Musiker, Filmemacher, Fotografen und Künstler aus acht teilnehmenden Ländern Europas in die Türkei. "Yollarda" – das heißt "unterwegs" – ist der Bücherbus bereits seit Mai 2009. Erst über ein Jahr später, im Juni 2010, fährt er in Brüssel zur Abschlussgala ein. Bis dahin wird die rollende Bibliothek am Vansee gehalten haben, auf beinahe zweitausend Metern, nahe der iranischen Grenze, in Trabzon an der Schwarzmeerküste, im tiefanatolischen Diyarbakır, und natürlich in Ankara und İstanbul und in knapp zwei Dutzend weiteren Städten.

Verbot des Kultusministeriums

2009 hatte mich "Yollarda" bereits nach Malatya geführt, in die "Aprikosenstadt" Ostanatoliens, in der deutsche Rentner in kurzen Hosen Entsetzen hervorrufen würden, schon Alkoholausschank ist dort in den meisten Kneipen nicht denkbar.

Meine damalige Einladung war vom Verbot des Kultusministeriums überschattet gewesen, an Schulen aus meinen Texten zu lesen – die Stelle in meinem Debütroman "KIPPpunkt", in der ein junger Zivildienstleistender eine 80jährige nackte Frau unter der Dusche beschreibt, war auf Widerwillen gestoßen.

Das Verbot hat auch in Antalya weiter Bestand, und so haben sich die Veranstalterinnen vom Goethe-Institut, die man niemals ohne zwei Handys gleichzeitig antrifft, nach alternativen Lesorten umgeschaut.

"Gibt es noch Fragen?"

Bei meinem ersten Auftritt, in der "Antalya Tekelioğlu İl Halk Kütüphanesi", kann ich kaum glauben, wie viele Finger in die Höhe schnellen, um Fragen zu stellen. Während in Deutschland auf das gefürchtete "Gibt es noch Fragen?" meist eine schläfrige Basisgelangweiltheit folgt, die nur in seltenen Fällen und mit groben Provokationen aufzubrechen ist, scheinen die Zuhörer in der Bibliothek geradezu dankbar, endlich mal einen Schriftsteller vor sich zu haben. Oder endlich mal einen Deutschen?

So werde ich auch nicht mit den üblichen Spekulationen über den autobiographischen Anteil meiner Texte konfrontiert, sondern gleich mit den letzten, großen Fragen überhaupt. Siehst du dich als politischen Menschen? Was ist die Aufgabe des Schriftstellers in der Gesellschaft? Warum spielen Bücher und Filme, die etwas bewegen wollen, eine immer geringere Rolle? Wollen alle nur noch schön klingen und spielen?

Deutschlands "dauercoole" Gymnasiasten

Kein Zischeln, kein Gelächter geht durch die Reihen, als diese Fragen gestellt werden, nichts scheint hier normaler zu sein, als einen Schriftsteller nach dem Sinn von Literatur und dem Sinn des Lebens überhaupt zu fragen.

Dem gängigen Bild der Medien ein eigenes, selbst erworbenes entgegensetzen: 10.000 türkische Schüler sollen durch Lesungen, Diskussionen, Konzerte und Ausstellungen über das Yollarda-Projekt erreicht werden. Zerknirscht denke ich an Deutschlands "dauercoole" Gymnasiasten, die sich für solche Fragen längst zu erwachsen fühlen, die alles, was nicht ironisch verpackt ist, als spießig empfinden. Was läuft da falsch bei uns?

Und dann folgt meine Lieblingsfrage, die ich in Deutschland noch nie gestellt bekommen habe, die ich mir selbst aber fast täglich stelle: Warum sind die Journalisten, nicht nur im Feuilleton, oftmals so zynisch? Warum wird Engagement immer so schnell verlacht?

Ich weiß nicht, ob es meine Antworten waren oder vielleicht auch nur der Exotenbonus, der nach der Lesung ein Dutzend Mädchen und Jungs an mein Pult treibt, um sich mit mir auf ihren Handykameras digitalisieren zu lassen.

"Die Deutschen wollen uns nicht!"

"Warum gibt es immer noch Deutsche, die Türken verbrennen?" Meine Kollegin Anja Tuckermann, die am Nachmittag neben mir auf einer kleinen Bühne vor zweihundert Studenten der "Akadeniz Üniversitesi" sitzt, ist sichtlich erschrocken über die Frage des jungen Mannes, schafft es aber, gedankenschnell Antworten zu geben.

Glücklicherweise habe man nach den grauenvollen Anschlägen der frühen 1990er seit einem Jahrzehnt keine Brandanschläge mehr zu beklagen, beginnt sie. "Und was ist mit Ludwigshafen?", wird sie sofort unterbrochen, "das war doch 2008!"

Anja Tuckermann und ich schauen uns verlegen an, sind spontan nicht faktenfest genug, um die Brandkatastrophe als das einzuordnen, was sie war: ein schrecklicher Unfall, bei dem neun Deutschtürken ums Leben kamen.


Ohnehin ist die Macht des Faktischen begrenzt, hatten türkische Medien doch ein Bild verbreitet, das bis heute in den Köpfen der Studenten weiterlebt: das Bild von Nazi-Deutschen, die Türken verbrennen. Da wurde weniger die Erinnerung an "Mölln" und "Solingen" wachgehalten, als neuer Hass geschürt.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kann Angela Merkel ihre "privilegierte Partnerschaft", die sie statt einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei vorsieht, noch so hübsch verkaufen – bei den Studenten kommt doch nur rüber: "Die wollen uns nicht!" Die forschen Pauschal-Touristen in Kaleiçi werden auch nicht dazu beitragen, den Ruf der Deutschen in der Türkei zu verbessern.

Wie gut, dass "Yollarda" einem die Chance gibt, anders aufzutreten, und sei es nur, indem man einfach mal zuhört und fünf Wörter Türkisch lernt. Allein 10.000 Schüler sollen über das Projekt erreicht werden, junge Türken in einem Alter, in dem es noch einfach ist, dem vermittelten Bild der Medien ein eigenes, selbst erworbenes entgegenzusetzen. Strengen wir uns an…

Unsere Medienpartner: Björn Kern © Qantara.de 2010

Unsere Medienpartner: Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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