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Topfdeckel-Klappern ist Lärmbelästigung - Straftat?

Topfdeckel-Klappern ist Lärmbelästigung und damit eine Straftat

Trotz der mittlerweile abgewandelten Proteste in Richtung bürgerlichen Ungehorsams auf den Straßen von Istanbul, Izmir, Ankara und anderen Städten, ist ein Ende der Demonstrationen in der Türkei nach wie vor nicht in Sicht.

Und anstelle des Dialogs sucht Erdoğan nach wie vor die Konfrontation mit den Demonstranten, wobei er klar die weitere Spaltung des eigenen Volkes in Kauf nimmt. Wie sonst kann es sein, das Erdoğan seine Anhänger zum "Handeln" gegen Demonstranten aufruft?

Immer noch erfolgt allabendlich um 21.00 Uhr das mit bürgerlichem Ungehorsam zu bezeichnende "Topfdeckelschlagen" vieler Protestler gegen den autoritären Regierungsstil der AKP und deren Pläne ohne dabei die Bürger zu beteiligen. Diese Topfdeckel-Proteste sind ein Dorn im Auge des türkischen Ministerpräsidenten Recip Tayyib Erdoğan. Während einer Rede auf dem Flughafen der Schwarzmeerstadt Kastamonu sagte Erdoğan jetzt, dass "das Volk nicht immer in einer Erwartungshaltung verweilen und darauf hoffen dürfe, dass die Polizei gegen die Demonstranten einschreite". Er fordert somit seine Anhänger auf, selbst gerichtlich gegen regierungskritische Demonstranten vorzugehen. Schlieslich seien die Menschen, die die nächtlichen Topfdeckel-Proteste veranstalten würden, der Lärmbelästigung zu beschuldigen, was einer "Straftat" gleich zu setzen ist.

Topfdeckel-Klappern - Protest oder Straftat

„Sie stehen auf ihren Balkonen und schlagen aus Protest auf ihren Topfdeckeln rum. Jetzt seid ihr gefragt und müsst gerichtlich dagegen vorgehen“, zitiert die Zeitung "Haberturk" den Ministerpräsidenten Erdoğan. Und weiter: " Niemand habe das Recht, seine Mitbürger auf diese Weise zu stören". Dabei zieht Erdoğan Vergleiche zwischen dem Werfen von Molotow-Cocktails und den Topfdeckel-Protesten heran, die in seinen Augen fast gleichwertige Straftaten seien.

Mittlerweile mehren sich allerdings auch Stimmen des Unmuts aus den Reihen der Polizei, die längst nicht mehr mit dem exzessiven Vorgehen eines Teils ihrer Kollegen beipflichten. Längst gibt es Stimmen in den Reihen der Polizei, die das Vorgehen gegen die Demonstranten bedauern und nach eigenen Angaben unter Gewissensbissen leiden.

b_450_450_16777215_00_images_turkey_cooking-pots-2.jpgEin weiterer schwerer Vorwurf wird in den letzten Tagen immer lauter: Inhaftierte Gezi-Park Demonstranten werden offenbar bewusst zu Schwerverbrechern in die Gefängniszellen gesteckt, was mehrfach zu Übergriffen durch die verurteilten Insassen geführt haben soll. Unter den inhaftierten Demonstranten befinden sich mehrheitlich junge Menschen und Studenten, aber auch Anwälte, Ärzte und Künstler.

So sagte der 25-jährige Umut Akgül nach seiner Freilassung aus dem Istanbuler Metris-Gefängnis nach 9 Tagen Haft, das er dort schreckliche Dinge erlebt habe. Gegenüber der Zeitung "Birgün" berichtet er von sexuellen und körperlichen Übergriffen durch die verurteilten Schwerstverbrecher: 
„Als die Insassen erfuhren, dass ich aufgrund meiner Teilnahme an den Gezi-Park Protesten einsitze, haben sie mich angegriffen. Sie haben damit gedroht allen inhaftierten Gefangenen den Kopf abzuschneiden. Ich wurde zum Fasten gezwungen und musste nach dem Fastenbrechen den Abwasch machen. Zudem wurde ich auch in anderen Angelegenheiten, wie ein Diener behandelt“.

Der Vater Ali Akgül erhebt schwerste Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft und die Polizei, denn seinem Sohn seien keinerlei Straftaten nachgewiesen worden. Gerade in den letzten Tagen sind durch die türkischen Anti-Terror Einheiten mehr als 30 überwiegend linke Studenten inhaftiert worden. Der Vorwurf ist immer wieder gleich: Sie sollen während der Massenproteste an "provokativen Aktionen" beteiligt gewesen sein. Entsprechend erwarten alle ihre Anklagen auf der Grundlage der Anti-Terror-Gesetze, deren Untersuchungshaft in der Türkei allein fünf Jahre betragen kann. Eine gesetzliche Zumutung, die mehrfach von der EU angemahnt wurde und eigentlich schon im letzten Jahr abgeschafft werden sollte.

So gibt es denn glücklicherweise auch erste Stellungnahme der ansonsten sehr zurückhaltenden türkischen Presse. In einem Artikel schreibt der Chefredakteur der Zeitung Hürriyet, Ertuğrul Özkök, das er von diesen Aussagen geschockt sei. Er zieht gar Parallelen zur Anfangsphase des Mussolini-Regimes, die anschaulich in dem italienischen Film "La Villeggiatura" dargestellt werden. Hier werde geschildert wie italienische Kommunisten seiner Zeit in die Zellen von Mördern und Vergewaltigern gesteckt werden und keiner von ihnen das Gefängnis lebendig verlässt. Der Vorwurf allein sollte genügen, die Bürger der Türkei wachzurütteln und ihre Kritik an den widrigen Umständen zu äußern.

Wie in weiteren Ländern auch werden die einst eingeführten Gesetze zur Anti-Terror-Bekämpfung längst dazu missbraucht, unliebsame Protestler ruhig zu stellen. Längst führen Anti-Terror-Gesetze in vielen Staaten zur  Beschränkung bürgerlicher Grundrechte wie freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, zum massenhaften Datenabgreifen eigentlich privater  und damit gesetzlich geschützter Informationen.

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