Umsiedeln nach Hermannstadt – heute Sibiu in Siebenbürgen
- Geschrieben von Portal Editor
Wenn es in der Heimat Kriege und Konflikte gibt, wenn es keine Arbeit selbst in der Landwirtschaft zur Eigenversorgung aufgrund von Zerstörungen oder Epidemien mehr gibt, sind Menschen am Verzweifeln, suchen nach Wegen aus und weg von dem Elend, um nicht getötet zu werden oder gar zu verhungern.
Dieses Bestreben existiert seit Beginn der Menschheitsgeschichte, es ist wohl auch dem Selbsterhaltungstrieb zu zuschreiben (was mehr als natürlich ist) und wiederholt sich kontinuierlich und permanent (heute Syrien, Afghanistan, Afrika, aber auch der Balkan). Gerne verschließen wir vor diesen Realitäten die Augen, einige wenige echte Helfer suchen oftmals verzweifelt nach Lösungen, um dann doch wieder das gleiche Elend an anderer Stelle mit anderen Betroffenen zu erfahren.
Gerne wird dabei vergessen, dass es auch in Westeuropa, ja in Deutschland, dieses Elend gegeben hat, nicht nur im Mittelalter sondern auch noch in jüngster Vergangenheit. Vielleicht hilft es ein wenig weiter, wenn man um die Geschichte und den Konsequenzen weiß, wenn man nachvollziehen kann, warum Menschen gezwungen sein können, ihre angestammte Heimat nicht aus eigenem Wollen verlassen zu müssen. Ein solches Beispiel stellt auch Hermannstadt dar, heute Sibiu in Rumänien, wo vermutlich 1147 die ersten deutschen Siedler diese Region erreichten; sie ließen sich auf dem Hügel über dem Zibin-Fluss, der heutigen Oberstadt, nieder.
Besiedlung Siebenbürgens durch deutsche Siedler
Wenn man sich mit der Abstammung dieser Menschen beschäftigt, so liegen deren Herkunftsgebiete größtenteils in den Gebieten der damaligen Bistümer Köln, Trier und Lüttich (heute also zwischen Flandern, Wallonien, Luxemburg, Lothringen, dem Westerwald und dem Hunsrück bis hinein ins Westfälische). Ein Teil der Siedler (in Nordsiebenbürgen) kam auch aus Bayern. Der Hauptanteil stammte allerdings aus dem Mittelrheinischen und Moselfränkischen. Diese Siedlergruppe war in keinem Fall homogen, sondern enthielt neben den deutschsprachigen Gruppen auch Altfranzösisch sprechende Wallonen und Niederländer.
Die Volkslegende beschreibt die Ansiedlung der überwiegend deutschen Siedler als Prozess, bei dem die Siedler, die es in ihrer Heimat sehr schlecht gehabt hatten (was sich tatsächlich mit Berichten über Hungersnöte und Seuchen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Bistümern Trier und Lüttich deckt), aus eigenem Antrieb den Weg nach Siebenbürgen gefunden hätten. Am ersten Rastplatz in Siebenbürgen hätten die Siedler beratschlagt und einige Siedler hätten sich für das Bleiben auf den Hügeln niedergelassen (dort wo heute Hermannstadt liegt). Zum Zeichen der Inbesitznahme des Landes sollen die beiden Anführer Hermann und Wolf zwei große Schwerter gekreuzt in den Boden gestoßen haben. Diese gekreuzten Schwerter bildeten seit der Zeit das Wappen der Siedlung Hermannsdorf (später Hermannstadt). Andere Siedlergruppen hätten sich dann getrennt und wären nach Norden und Osten vorgestoßen.
Sachsen werden angeworben - wie Gastarbeiter in den 60ern
Die Ankunft der Siebenbürger Sachsen geschah im Rahmen der deutschen Ostsiedlung. Die Siedler wurden professionell durch Lokatoren angeworben und sind in mehreren Schüben in entsprechender Masse nach Siebenbürgen ausgewandert. Ihr Weg hat sie über Schlesien, Sachsen oder Böhmen (angenommen wurde dort eine Zwischenheimat) über die Zips nach Siebenbürgen geführt, oder über die Donau und den Mieresch aufwärts. Die ersten Ansiedlungen erfolgten um 1150 unter König Géza II.
Karte: The region of (historic) Transylvania in today's Romania
Source: Own work, based on NASA Visible Earth The Carpathian Mountains. Credit: Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, NASA/GSFC, Author: DietG
Sogar die Anzahl der ersten Siedler ist durch die Erforschung der Flur- und Hufeneinteilung sächsischer Gemeinden berechenbar. Die Siedlungen bestanden zunächst stets aus einer immer gleichen Anzahl von etwas mehr als 40 Hufen, d. h. ca. 40 Hofstellen. 13 Siedlungen zu je 40 Hufen ergeben 520 Hufen (Hofstellen). Geht man von einer durchschnittlichen Familiengröße von fünf Personen aus, so ergibt sich bei konservativer Schätzung eine Anzahl von 2600 Personen. Weitere Zuzüge im Lauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte (auch aus den Ursprungsgebieten) sind wahrscheinlich. Von den Primärorten strömten mit der Zeit Siedler in Neugründungen und wenig erschlossenes Gebiet aus. Ausgehend von den Stühlen Hermannstadt, Leschkirch und Großschenk wurden der Königsboden, das Burzenland und der Nösnergau besiedelt. Darüber hinaus erfolgte Binnenbesiedlung auch auf Adelsboden.
Erst im Laufe der Jahrhunderte bildete sich aus dieser bunten Siedlergemeinschaft ein echtes Volk mit eigenem kulturellen Gedächtnis, eigener Sprache, eigenem Gesetz (Eigenlandrecht) und Autonomieverwaltung (Nationsuniversität).
Stephan II setzt auf deutsche Adlige, Handwerker, Bergleute und Bauern
Zudem waren sie nicht die einzigen Deutschen im damaligen Ungarn, da die Könige seit Stephan II. mehrfach deutsche Adelige, Beamte, Handwerker, Bergleute und Bauern an verschiedene Stellen ihres Reiches gerufen hatten. In diese Entwicklung ist die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen einzuordnen. Geisa II, König von Ungarn, hatte Mitte des 12. Jahrhunderts seinen Einflussbereich über ganz Siebenbürgen bis an die Karpatenkämme ausgeweitet und ließ das zunächst noch sehr dünn besiedelte Gebiet von den deutschen Siedlern erschließen.
Damit sich die Siedlungen schnell entwickeln und entsprechenden Steuergewinn für den Staat erwirtschaften konnten, verlieh er den Siedlern, wie schon früher dem Hilfsvolk der Szekler, Sonderrechte. Darin wurden ihnen zunächst diverse Privilegien (Freitümer) zugesichert und gewisse Steuer- und Wirtschaftsvorteile gewährt. Kodifiziert wurden diese Rechte 1224 im Goldenen Freibrief (Andreanum) unter Andreas II. Neben der freien Nutzung von Gewässern und Wäldern sowie der Zollfreiheit für die deutschen Händler waren die Siedler außerdem weder dem Adel noch der Kirche untertänig und somit freie Bürger (im Sinne des damaligen Verständnisses von Aktivbürger, also männlich, steuerzahlend und erwachsen).
Wirtschaftliche Blütezeit der Siebenbürger Sachsen
Die jungen Siedlungen entwickelten sich rasch. Die Bevölkerung stieg durch Zuzüge und Geburtenüberschüsse schnell an, wurde aber durch den Mongolensturm von 1241 erheblich dezimiert. Das Land wurde in seiner Entwicklung stark zurückgeworfen. In manchen Siedlungen hatten nur zwei bis drei Generationen gelebt, bevor sie durch die Attacken der mongolischen Reiter schon zu Wüstungen wurden. Jedoch erfolgte die Erholung relativ schnell, die Binnenbesiedlung gewann wieder an Schwung. Nach dem Landesaufbau im 12. und 13. Jahrhundert folgte eine lange Phase der Prosperität.
Die erste Zeit großer kultureller und wirtschaftlicher Blüte der Siebenbürger Sachsen ist daher auch im 14. und 15. Jahrhundert anzusiedeln. Die Bevölkerung der Sieben Stühle und der anderen Distrikte des Königsbodens wuchs schnell und stetig. In den Bergwerken der Waldkarpaten und im Rodnaer Gebirge wurden Gold, Silber und Salz gefördert. Der Handel florierte, und die Wirtschaft konnte sich entfalten. Die Routen der sächsischen Händler reichten von Danzig an der Ostsee über Krakau, Wien, Belgrad bis Konstantinopel und zur Krim. Bis 1395 (erster Türkeneinfall) gab es keine größeren äußeren Bedrohungen, und der Aufschwung der deutschen Siedlungen führte nun auch zur Bildung echter urbaner Zentren. Hermannstadt, Kronstadt, Klausenburg, Bistritz, Schäßburg und Mühlbach wurden zu Städten, andere Orte wie Agnetheln, Broos, Birthälm, Marktschelken, Mediasch und Sächsisch-Regen zu Marktflecken. Das Handwerk war bereits breit gefächert. So sind in der ältesten noch überlieferte Zunftordnung der Sieben Stühle von 1376 schon 19 Zünfte und 25 Gewerbe vermerkt. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts waren die Städte des Königsbodens (allen voran Kronstadt) so finanzkräftig geworden, dass sie dem ungarischen König Geld gegen die Verpfändung ganzer Orte liehen.
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