Autor Werner Koschan - Le Charlot

Werner Koschan - Le Charlot

Unser Garten wirkt im landläufigen Sinne ungewöhnlich - man findet weder Rasen noch Rosenhecke oder Gartenzwerge.

Dafür landen Spatzen auf dem Tisch, betteln um Kuchenkrümel, ein Zaunkönig hat sich mal auf meine Schulter verirrt und ruhte sich lange aus.

Ein großer Teich beherrscht den Garten, umgeben von unzähligen Blumen, Kräutern und Büschen, die wachsen ohne erzogen werden zu müssen. Dazu finden sich Zitronen-, Mandarinen-, Olivenbäumchen, sowie Feigen und vieles mehr in großen Kübeln.

Aus dem nahen Baggersee besuchen Frösche, zahllose Vogelarten und sonstige kleine Tiere den Garten und bringen ganz nebenbei Samen von ungewöhnlichen Pflanzen mit, die bei uns wachsen und wiederum neue, mitunter recht seltene Tiere anlocken. Ein Eisvogel jagt vom Kirschbaum aus im Sturzflug nach Fischen im Teich, ein Fischreiher watet majestätisch durchs Wasser und spätabends zischen Fledermäuse kunstvoll durch die Luft. Für einen Garten in Köln ist das ungewöhnlich. Schwalbenschwänze und Admirale sitzen im Sommerflieder - Admiral nicht im Sinne von dusseligem Militär, sondern hübschem Schmetterling.

Ich kann mühelos den ganzen Tag auf dem Steg sitzen, die Füße im Wasser baumeln lassen und das vielartige Treiben in und um den Teich herum beobachten. Und ohne diesen Teich wäre die Geschichte, die ich erzählen möchte, bereits zu Ende.
Im April stellt sich nämlich unerwarteter Besuch im Garten ein. Ein Entenpaar schwimmt eines Morgens auf dem Wasser vor dem Wintergarten - tatsächlich echte lebendige Enten. Prima, sage ich mir, die muß ich selbstverständlich ausgiebig beobachten und habe wieder mal einen einleuchtenden Vorwand, mich vor jeglicher Art von Arbeit zu drücken. Wohlgemerkt, ich finde Arbeit ist eine der wundervollsten menschlichen Erfindungen - stundenlang kann ich zuschauen ohne zu ermüden!

Bisher hatte ich mit Enten nur in der Küche zu tun, chinesisch zubereitet mit Pilzen, Tomaten, Ananas und Gewürzen. Aber diese Enten im Teich sind lebendig und ich möchte zu gerne, daß sie im Garten bleiben (nicht nur wegen der Ausrede). Wie ködert man Wildenten, im Garten zu bleiben? Keine Ahnung, mit Futter vermutlich (sind ja auch nur Menschen). Wenn ich bloß wüßte, was Enten üblicherweise fressen? Am Baggersee habe ich Leute beobachtet, die Brot ins Wasser werfen und die Tiere stürzen sich drauf. Will ich doch mal versuchen. Schnell schneide ich eine Scheibe Brot klein und schütte die Bröckchen in die Schale des Vogelfutterplatzes.
›De gustibus non est disputandum!‹ Sie watscheln an Land und fressen gierig, das Weibchen ungeniert. Dann auch das Männchen - sehr vorsichtig.

Sie schwimmen auf dem Teich, gründeln, machen Schwimm- und Tauchkunststückchen und ... haben Spaß miteinander - das Männchen hält den Nacken seiner Braut mit dem Schnabel fest, drückt ihren Kopf unter Wasser und vergnügt sich. Versichert sich allerdings nach einer Weile, ob die Herzdame noch zappelt und läßt sie für Sekunden wieder über Wasser Luft holen. Dann beginnt er von vorne. Schließlich gibt er das Weibchen frei, schwimmt um sie im Kreis herum und pflügt dabei das Wasser wie eine Motoryacht.

Sie schwimmen, fressen, paaren sich, und ab und zu fliegen sie auch davon in Richtung Baggersee, wo sie wohl sonst leben.
Und sie kommen wieder.
Sonnen sich auf dem Steg über dem Wasser und scheinen sich in unserem Garten sauwohl zu fühlen. Keine Ahnung, wie man Wildenten behandelt. Brüten die so nah am Menschen? Wer hat schon Enten im Gartenteich?
Momentchen bitte schön, davon hat mir doch jemand mal erzählt. Wer war das bloß? Ach ja, ich erinnere mich. Also nix wie ans Telefon und nachgefragt, ob die ...?
»Nein«, lautet die Antwort, »die brüten nicht im Garten. Wildenten kommen lediglich im Frühjahr zur Froschlaichzeit und fressen den Laich. Muß wohl eine Delikatesse für sie sein. Was die Frösche davon halten, weiß ich nicht. Aber macht euch bloß keine Sorgen, von wegen Eier legen und so.«
Wir sind beruhigt, aber jeden Morgen führt uns dennoch der erste Weg zum Fenster, in der Hoffnung, daß die Enten noch da sein mögen. Sie sind.
Bloß tragen die beiden anständigerweise ein Federkleid, wir stehen da wie Adam und Eva und müssen manchmal ganz genau hinschauen, um sie zu von oben in der Wildnis der Pflanzen zu entdecken. Das ist manchmal wie bei einem Suchbild.

Zu Ostern denke ich, es laust mich doch der Affe. In der Kuhle am Ufer im Moos, in der sich Enti - so nennen wir das Weibchen - meist besonders gerne aufhält, liegt ein Ei. Sieht aus wie ein Hühnerei. Wer hat sich denn zu Ostern diesen Scherz erlaubt?
Ich rufe die Neuigkeit ins Haus hinein.
»Hahaha«, bekomme ich zu hören, »das ist aber nun wirklich ein ganz schwacher Aprilscherz!«
Ja von wegen, ich bin selten mal so ernst gewesen, aber das hab ich nun davon. Jahrelang denke ich mir die skurrilsten Geschichten aus, um Madame zu unterhalten. Und je mehr ich mir dabei aus den Fingern sauge, desto besser. Kaum sage ich aber mal die Wahrheit so wie jetzt über das Ei, schon glaubt sie mir natürlich nicht. So sind die Frauen.
»Ach Unfug«, sagt sie, »das hast du doch selbst da reingelegt.«
Mir wird warm. »Seit wann lege ich Eier?«
»Kindskopf«, sagt sie und winkt ab (sie hat ihre Schattenseiten).
Erst nachdem Tag für Tag weitere Eier im Nest liegen, steigt meine Glaubwürdigkeit.
Ulkigerweise sitzt Enti aber nicht auf den Eiern, obwohl es besonders nachts manchmal wirklich noch saukalt ist. Mittlerweile liegen schon neun Eier im Nest. Ich sehe immer vorsichtig nach, wenn Enti weggeflogen ist.
Am nächsten Morgen sitzt sie auf dem Nest und bleibt darauf sitzen. Erich verschwindet. Offenbar kann er mit einer Mama, die nur noch Mama ist, recht wenig anfangen. Erich ist also ein Macho! (Könnt ich glatt neidisch werden - aber das bleibt unter uns.)

Die Gartenarbeit muß ich nun (leider, leider) auf das Notwendigste einschränken und wir meiden die unmittelbare Nähe des Nestes, um Enti nicht zu stören. Die Sonne gleißt vom Himmel und das arme Tier japst in der Hitze. Nachmittags, sobald der Schatten des Hauses auf das Nest fällt, gleitet Enti ins Wasser, frißt aus der Hand, schwimmt, putzt jede einzelne Feder, reckt und streckt sich. Eine kurzzeitige Belohnung für ausdauerndes und sicherlich langweiliges Brüten.
Der recht enge Kontakt zu uns scheint sie nicht zu stören. Und wenn wir dem Nest mittlerweile doch mal zu nahe kommen, faucht Enti lediglich mal leise. Manchmal fliegt sie nach dem Baden auch spontan los. Im Nest zähle ich zehn Eier, jetzt sorgsam mit Federn gepolstert. Ich höre, daß die Enten anfliegen und sehe zu, vom Nest wegzukommen. Keinen Augenblick zu früh, denn laut quakend wassert Enti mit dem Rabenvater Erich. Es folgt eine kurze Partneridylle, bis er recht bald wieder entschwindet.

Die Tage vergehen, wir haben uns irgendwie aneinander gewöhnt und ich bin vielleicht sogar ein bißchen vernarrt in das Tier. Aber ich habe sowieso einen Vogel mit Vögeln. Hunde und Katzen liegen mir nicht so. Im Haus fliegen vier kleine Vögel frei herum, die keinen Käfig kennen. Unsere Entenfamilie im Garten lockt zahlreiche Nachbarn, sich Enti mal anzuschauen. Ein Besucher, der zu Hause einen Hund im Kälberformat hält, fragt ängstlich beim Gang durchs Wohnzimmer, ob unsere Wellensittiche vielleicht beißen?
 
Die Hitzewelle ist vorüber und es regnet beinahe täglich. Enti hockt auf dem Nest und beschirmt die Eier. Bis in die Nacht sitzen wir bei Kerzenschein im Wintergarten und lauschen den Geräuschen der Dunkelheit. Fledermäuse sirren akrobatisch über das Wasser, Froschmännchen quaken um die Wette, Igel fressen schmatzend Schnecken und manchmal fliegt der Entenmann geräuschvoll ein.

Der Mai hat den Garten in ein Blütenmeer verwandelt und wir warten ungeduldig auf Nachwuchs. Hätte ich mir in meinem Alter auch nicht träumen lassen.
Wie jeden Morgen begrüße ich Enti auch an diesem Mittwoch auf dem Nest mit zwei, drei Handvoll Dosenmais, aber heute faucht sie unfreundlich. Ich bemerke ein leicht angepicktes Ei und rufe meine Frau. Gemeinsam beobachten wir, wie die Schale bricht und ein dunkles Küken mit proportional gewaltigen Füßen unter Entis leicht gespreizten Flügel kollert.
Im Nest wird’s zunehmend unruhig. Schlüpfen die etwa alle am selben Tag, fragen wir uns? Wir müssen zugeben, daß wir nicht die geringste Ahnung haben, wie das weitergeht. Wen könnte man nur um Rat fragen? In der Zoohandlung weiß man auch nix Genaues über Wildentenküken, rät uns aber, sicherheitshalber 25 Kilo Aufzuchtfutter zu kaufen.

Zu Hause angekommen stellen wir erstaunt fest, daß Enti mit zehn Küken auf dem Teich schwimmt. Das heißt, neun sind in ihrer Nähe, das zehnte schwimmt eigene Wege und erhält dafür stets Kopfnüsse, die Enti mit dem Schnabel austeilt. Irgendwie ist mir der flauschige kleine Querkopf ganz besonders ans Herz gewachsen. Wenn er zum Futternapf watschelt, hab ich spontan das Bild des Tramp vor Augen, des verletzlichen Eigenbrötlers mit den viel zu großen Schuhen - der körperlich kleine Charles Chaplin, der eigentlich ein ganz Großer war. Den die Franzosen so liebevoll Le Charlot nennen. Ich taufe das kleine eigenwillige Watschelküken ohne Umschweife Charlot.

Die Küken futtern alles, was ihnen vor die Schnäbel kommt und Meisen, Spatzen, selbst der Fischreiher müssen sich vor Enti hüten.
Zehn zerbrechliche Flauschknäuel bestimmen unseren Tag. Immer häufiger lassen wir alles stehen und liegen, um begeistert das Spektakel im Garten zu beobachten. Das Objektiv meiner Kamera richte ich so oft es geht auf die Gruppe, schwenke bald zu Charlot und bleibe auch meist an seinen Kapriolen hängen. Er klettert gerne ans Ufer, watschelt den Steg lang und hüpft platschend ins Wasser. Manchmal wird anscheinend eine Notfallübung durchgeführt. Enti schwimmt ein paar Meter davon, pfeift und alle Kleinen schwimmen sofort zu ihr, manche scheinen dabei übers Wasser zu rennen.
Nur Charlot nicht. Er paddelt seelenruhig, hüpft ganz nonchalant noch an diesem und jenem Schilfhalm hoch und wenn er dann schließlich doch auch bei Enti anlangt, gibt’s gleich wieder eine Kopfnuß.

Sonntagmorgen suche ich vergebens nach unseren Spaßvögeln. Im Garten ist nichts von ihnen zu entdecken. Enti wird sich doch nicht um Himmels willen mit den vier Tage alten Küken auf den Weg zum Baggersee gemacht haben? Das wäre gegen jede Vernunft, wenn auch der See nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt liegt. Aber zu Fuß über Straßen, durch Gärten, an Hunden und Katzen vorbei, von Elstern und Sperbern beobachtet, dazu sind die Küken noch viel zu schwach.
Sollen wir uns einmischen oder dem Schicksal seinen Lauf lassen?
Allez!
Wir machen uns auf die Suche. Am Grundstücksende liegt ein verwaister Bahndamm, dahinter führt eine Straße, dann kommen wieder Häuser. Auf dieser Straße stehen Leute und halten die Autos an. Enti watschelt konfus hin und her.
Die Küken quieken aus dem hohen Gras eines Baugrundstückes. Die Nachbarsleute sind bemüht, sie mit Käschern zu fangen, bevor die hauseigene Katze - die nicht versteht, weshalb sie nicht darf, wie sie möchte - die Küken erwischt und auch der Wachhund zerrt an der Kette.
Ein dröhnender Kleinwagen mit hämmerndem Bumbum aus überstarken Lautsprechern rast die Straße entlang. Dem Fahrer ist unter der roten Deppenkappe alles gleichgültig. Enti fliegt ins hohe Gras. Sie zu fangen, wird kaum Erfolg haben, befürchte ich.
Aber innerhalb kurzer Zeit gelingt es uns, neun Küken einzufangen, das zehnte - bedauerlicherweise vermutlich Charlot - bleibt unauffindbar. Es war wohl leider eine leichte Beute für die Katze. Enti ist mittlerweile weggeflogen.

»Was sollen wir denn nun mit den Küken tun?«
Am Baggersee aussetzen, meint einer.
Ins Tierheim bringen, sagt ein anderer.
Für den Grill wären sie wohl noch zu klein, bedauert ein Gemütsmensch.
»Sie können die Küken nur wieder mit nach Hause nehmen«, lautet der einzig vernünftig scheinende Vorschlag, »und drauf hoffen, daß die Mutter nach den Kleinen sucht. Und dann die ganze Sippschaft zum Baggersee fahren. Ohne Mutter haben die Küken keinerlei Chance.«

Ein Vogelkäfig wird aufgetrieben, die Küken mit Wasser und Futter dort hinein gesetzt. Sie quieken zwar, fressen und trinken aber, müssen ja auch einen Mordsdurst haben, die Kleinen. Den Käfig trage ich ans Ende des Gartens, die Küken piepsen recht laut und wir hoffen, daß Enti sie hört. Muß doch zu schaffen sein, rede ich mir ein, dem blöden Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, Masselmolch wo ich bin! Gleichzeitig bedauere ich Charlot. Scheißwelt!

Immer wieder gehe ich zum Gartenende und schaue durch die geöffnete Tür der Einfriedung rechts und links den stillgelegten Bahndamm entlang. Mit einem Mal höre ich Quaken und trete hinaus. Mitten auf dem Gleis watschelt Enti und sucht vermutlich den Zugang zu ihren Küken. Hinter ihr trottet in aller Seelenruhe mein Charlot. Den schnappe ich mir mit der bloßen Hand und trage ihn zurück in den Garten. Enti folgt uns wütend schnatternd.
Charlot kommt zu seinen Geschwistern in den Käfig, dieser in den Wintergarten. Wenn es überhaupt eine Chance gibt, Enti ohne viel Quälerei zu fangen, dann nur dort. Sie steht auch sogleich vor der Tür und quakt, die Küken sitzen drinnen und quieken.
Enti schaut mich an, als bäte sie um Hilfe. Endlich nähert sie sich dem Käfig, ich springe hinterher, stoße die Tür ins Schloß, greife den wild flatternden Vogel und zwinge Enti in einen großen Katzenkorb.

Korb und Käfig kommen auf den Rücksitz unseres Autos, wir beiden Menschen sitzen vorne. Wer aufgeregter ist, kann ich nicht sagen. Je näher wir dem Baggersee kommen, desto ruhiger werden die Tiere in den Käfigen im Fond.
»Die sind bestimmt nur ausgerissen, weil sie auch mal im Mercedes gefahren werden wollen«, sagt die Komikerin neben und ich muß lachen. »Zumindest haben sie eine Menge Massel«, antworte ich.

Sonntagsspaziergänger wundern sich über uns und die Käfige. Wir erreichen das Wasser des Baggersees.
»Wir müssen vermutlich erst die Küken aufs Wasser lassen«, überlegen wir, »sonst haut Enti ab und wir wären wieder am Anfang.«
Also lassen wir zunächst die zehn Küken ins Wasser, dann öffne ich den Karton, Enti stürzt hinaus und führt ihre Küken sofort von uns weg zu einer mit Schilf bewachsenen Stelle.
Charlot paddelt, offenbar nur wenig beeindruckt, hinterher. Daß der noch lebt, trau ich mich gar nicht wirklich zu glauben. Ich muß weg hier, das war alles viel zu viel. Allein die Vorstellung, daß eine Entenmama mit sehr viel Mühe ein Rudel knuffiger Küken zur Welt bringt, die dann nach ein paar Tagen auf widerliche Art während eines sinnlosen Weges grausam verrecken müssen, läßt mich mit dem Schicksal hadern.
Ich brauche jetzt einen Whisky, natürlich ist keiner im Hause. Muß der Nachbar aushelfen. Ich erzähle dieGeschichte und leihe mir eine Flasche aus.
Gewöhnlich trinken wir Alkohol nicht ohne besonderen Anlaß. Es gelten ausschließlich drei relevante Gründe:
1. Es muß warm oder kalt sein.
2. Es muß Tag oder Nacht sein.
3. Wir müssen gut oder schlecht gelaunt sein.
An diesem Maisonntag pfeife ich auf Begründungen. Einerseits ist es schön, diese Rettungsaktion hinbekommen haben, andererseits ist der Garten sonderbar verwaist. War es richtig? War es falsch? Was kann man jetzt noch tun? Es wird ein lausiger Sonntagabend.

Montagmorgen umrunde ich mit brummendem Schädel den Baggersee in der sinnlosen Hoffnung, vielleicht doch festzustellen, ob Enti und die Küken noch leben. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, das weiß ich selbst, trotzdem. Jede Bewegung am Ufer weckt Hoffnung und wird beim Blick durchs Fernglas sogleich enttäuscht.
Ich hätte gedacht, daß alle Enten gleich aussehen, aber weit gefehlt! In Größe und Körperhaltung, in Farbe und Muster und vielen Nuancen unterscheiden sich die Tiere voneinander. Vielleicht wirkt Enti auch nur für mich so, weil ich das Tier ein paar Wochen lang aus nächster Nähe betrachtet habe. Aber ich kann suchen, so viel ich will. Enti ist nicht zu entdecken.
Am Montagabend machen wir noch einen Spaziergang um den See. Das nützt zwar nichts, aber es schadet auch nichts.

Ein Schwan brütet auf einem Werder einer Inselgruppe. Das Männchen bewacht den Platz. Na, dem möchte ich nicht zu nahe kommen.
Ein paar Schritte weiter liegt ein dicker Baumstamm halb am Ufer, halb im Wasser. Er wirkt beinahe wie ein Anlegesteg. Mein Blick bleibt eine Weile daran hängen. Eine ideale Gegend hier, traut sich kein Hund hin. Tja, das wär genau der richtige Platz, ist aber nichts zu sehen.

Um die Stumpfseite des Baumstammes, die im Wasser liegt, schwimmt langsam ein Entenweibchen herum. Nein, nein, nein, das gibt’s doch nicht! Die Größe, Haltung, Farbe, alles paßt. Wäre ich jetzt allein hier und erzählte es später zu Hause, würde mir das niemand glauben - ich mir selber auch nicht.
Das ist Enti! Schreien könnte ich, aber nach der Erfahrung, welche sie gestern gemacht hat, wird sie mir wohl weniger freundlich gesinnt sein. Also drücke ich die Kamera ans Auge und ziehe den Zoom so groß es geht. Eindeutig, das sind sie. Im Schlepptau folgen ihr die Küken um den Baumstamm in einer Reihe. Eins, fünf, acht, neun.
Das von mir so erhoffte zehnte Küken schwimmt nicht am Stumpf vorbei. Kann die Kamera auch nicht herbeizaubern, nun ja, neun von zehn ... ist auch mehr als erstaunlich genug.

Enti schwimmt zur Inselgruppe, auf der das Schwanenpaar brütet, krabbelt in ein offenbar altes Schwanennest. Die Küken folgen ihr. Der Schwan schiebt majestätisch Wache. Kaum zu fassen, denke ich, eine Sekunde vorher vom Baumstamm weggeschaut, und wir hätten nichts entdeckt.
Ich schwenke die Kamera dankbar nochmals auf den Stamm. Auf der Oberseite bewegt sich ein kleines dunkelbraunes Knäuel mit gelben Streifen, schüttelt sich, hüpft wieder ins Wasser und paddelt seelenruhig der Mutter und den Geschwistern hinterher, klettert ins Nest und erhält die obligatorische Kopfnuß.

Le Charlot!!!

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