Unbeugsam und ungebändigt - Dokumentarische Fotografie

Unbeugsam und ungebändigt

Roland Barthes unterschied im Jahr 1979 in seiner Schrift "Die helle Kammer" zwei Umgangsweisen mit der Fotografie – ihre Zähmung durch ästhetische Kategorien wie Autorschaft, Oeuvre und Genre oder das Zulassen ihrer ungebändigten Wirkung, die in dem „Erwachen der unbeugsamen Realität“ in der Fotografie begründet liege.

Etwa zwanzig Jahre später zeigten die documenta 10 und documenta 11 1997 und 2002, dass die zweifache Betrachtung der Fotografie als Kunst und als Abbild der Wirklichkeit sich nicht widersprechen muss. Im Gegenteil – nach Okwui Enwezor ist gerade die Fotografie als Dokument dazu in der Lage, Ästhetik und Ethik in ein neues Verhältnis zueinander zu setzen. Heute – 35 Jahre nach Erscheinen von Barthes’ Essay "Die helle Kammer" – zeigt die Ausstellung dokumentarische Fotografien, die um 1979 entstanden sind, um sie auf ihre ästhetischen und ethischen, performativen und politischen Bezüge zur „unbeugsamen Realität“ zu befragen.

Mit den Jahren um 1979 verbindet sich die Zeit umfassender gesellschaftlicher Umbrüche und Krisen, die das Dokumentarische zu einer künstlerisch wichtigen Haltung machte. Der Historiker Eric Hobsbawm bezeichnet in seiner „Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts: Das Zeitalter der Extreme“ die Jahre nach 1975 als Krisenjahrzehnte: Stellvertreterkriege und Sicherung von Einflusssphären durch die USA und der Sowjetunion in Lateinamerika und vielen afrikanischen Ländern; die islamische Revolution im Iran; die beginnende Destabilisierung der Sowjetunion ab 1980, während sich China zu der dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt entwickelte. Die Weltbankpolitik führte zur Schuldenkrise der sogenannten Dritten Welt. Die Macht der transnationalen Wirtschaft wuchs unterstützt durch die Revolution der Transport-, Produktions- und Kommunikationstechnologien, während die territorialen Staaten im gleichen Maße an Einfluss verloren.

Die Künstler und Fotografen beobachteten und dokumentierten diesen globalen Wandel über längere Zeiträume in der Regel dort, wo sie lebten. Zum Teil entstanden große Fotokonvolute. Daher steht in der Ausstellung nicht das Einzelbild im Mittelpunkt. Vielmehr sind von 13 Fotografen und Künstlern aus der Sammlung des Museums wie Robert Adams, Joachim Brohm, Ute Klophaus oder Candida Höfer je eine Fotoserie ausgewählt worden, erweitert um Leihgaben von David Goldblatt, Miyako Ishiuchi und Raghubir Singh, die exemplarisch die Sammlung ergänzen.

Barthes ging von einem direkten Zugang zum fotografischen Einzelbild aus, der von Erstaunen geprägt ist, von Gefühlen wie Trauer und Empathie. Er analysierte seine unmittelbare Reaktion auf das Wesen der Fotografie hin. In der Ausstellung sollen die Fotografien hingegen auf die dokumentarische Haltung der Künstler und Fotografen befragt werden. Verbindet sich mit ihr ein ethnografischer Blick, der den Wandel nur verzeichnen möchte, oder ist an sie eine Politik der Sichtbarmachung geknüpft? Die dokumentarische Haltung ist nicht in den Fotografien allein, sondern auch in ihrem Gebrauch zu entdecken. Fünf Fragen werden daher in der Ausstellung an jede Fotoserie gerichtet: Wer hat die Aufnahmen gemacht, wann und wo, in wessen Auftrag, an wen sind sie adressiert, wo und wie wurden sie erstmals veröffentlicht? Und welche Möglichkeiten der Annäherung an Fotografie können in der Gegenwart bestimmt werden?

Der Katalog zur Ausstellung stellt mit einführenden Texten maßgebliche fotografische Positionen und dokumentarische Haltungen vor. Er befragt mit dem Blick zurück in die Geschichte auch die Aktualität von Dokumentarfotografie heute und wird einen wichtigen Beitrag zur Debatte um das Dokumentarische leisten. Mit einer umfassenden werkmonografischen Bibliografie bietet er einen Apparat zur weiteren Forschung.
Da der Großteil der Konvolute aus der Sammlung des Museum Ludwig stammt, stellt der Katalog auch einen Beitrag zur Aufarbeitung der Sammlung dar.

Der Katalog umfasst 176 Seiten mit 70 Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß. Er beinhaltet einen Aufsatz und 13 werkmonografische Texte zu den Fotokonvoluten. Die Autoren sind Jennifer Crowley, Barbara Engelbach, Lena Fritsch, Laszlo Glozer, Shanay Jhaveri, Andreas Prinzing und Inka Schube. Die Grafikerin Christina Mayer gestaltet den Katalog.

Die Ausstellung wird unterstützt von der Peter und Irene Ludwig Stiftung

Kuratorin: Barbara Engelbach

28. Juni – 5. Oktober 2014

Ludwig Museum

Anne Niermann / Leonie Pfennig
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
fon +49 (0)221 - 221 - 23491
fon +49 (0)221 - 221 - 23003
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Geschichte

Kultur

Leben | Outdoor