Sekt für alle - Provokationen des Şükran Moral?

Provokationen der Şükran Moral

Seit den Polizeieinsätzen gegen die so genannten Gezi-Proteste im Jahr 2013 hat Kunst aus und in der Türkei ein wirkliches Problem. Jedermann erwartet nun geradezu, dass Kunst zumindest in Teilen politische Themen aufgreift.

Dies zeigte sich besonders während der Istanbul Biennale, die zwar irgendwie politisch war und doch am Ende weder als Statement noch künstlerisch überzeugen konnte. Anders gesagt: Wenn gesellschaftliche Freiheiten eingeschränkt werden, leidet auch die Autonomie der Kunst gegenüber den realpolitischen Geschehnissen. Der Druck eines Systems, sich "konform verhalten" zu müssen, zeitigt selten große, künstlerische Werke.

Şükran Morals Werke wurden in vielen internationalen Ausstellungen präsentiert, darunter das MACRO in Rom, das Victoria and Albert Museum in London, das Stedelijk Museum in Amsterdam und das Bergen Kunstmuseum in Norwegen. Die türkische Künstlerin Şükran Moral arbeitet in ihren Performances mit den Privilegien der Männer, die zur Zeit in der Türkei eher wieder manifestiert werden. Mit Provokation hat das aber wenig zu tun.

Şükran Moral wurde 1962 in der Kleinstadt Terme am Schwarzen Meer geboren. Ihre Familie war sehr konservativ. So wurde ihr vom Vater nach der Schule eine weitere Ausbildung verwehrt. Şükran widersetzte sich ihm, arbeitete zunächst in einer Schneiderei, besuchte dann eine weiterführende Schule und studierte schließlich an der Kunstakademie in Ankara. 1989 zog sie nach Rom, wo sie sechs Jahre später ihren Abschluss als bildende Künstlerin machte.

Şükran Moral´s "Hochzeit zu viert"

sekt fuer alle 3Eines ihrer Videos ist Marriage with Three Men von 2010. Man sieht die beinahe 50 Jahre alte Künstlerin in einem weißen Hochzeitskleid mit drei jungen Männern bei einer Zeremonie. In einem kleinen Dorf innerhalb der kurdischen Provinz Mardin feiern sie zu viert Hochzeit. Sie tanzen traditionelle Tänze auf dem Dorfplatz. Wie bei einer echten Hochzeit sind zahlreiche Gäste anwesend, man sieht Kinder umher springen, ältere Männer spielen regionale Instrumente, die Situation macht einen normalen und äußerlich guten Eindruck. Die anfängliche Irritation des Betrachters über die drei Bräutigame schwindet schnell angesichts der Gelassenheit der Dorfbewohner. Die vier Vermählten gehen tolerant miteinander um. Ihre Blicke sind zärtlich und voller Stolz und Respekt. In dieser Region ist Mehrfachheirat üblich. Ältere Männer heiraten mehrere jüngere Frauen. Şükran Morals Performance reagiert auf diese Situation. Viel stärker aber als der direkte Eingriff in den Alltag des kleinen kurdischen Dorfes sind die Bilder, die hier evoziert werden. Denn diese Bilder stellen etwas infrage, sie bringen Verunsicherung und machen darüber Mut auf ein besseres, auf ein anderes Miteinander.

Eine Kuratorin, Claudia Giannetti, stellte im Katalog die Provokation als zentrales Moment bei Şükran Moral heraus. Şükran Moral ist aber nicht Mitglied von "Femen", sie ist keine politische Aktivistin. Sie verändert die Wirklichkeit in einem symbolischen Akt. Um neue Selbstverständlichkeiten zu schaffen, muss man dafür sorgen, dass sie von einem Umfeld auch angenommen werden.

Man sieht schwitzende nackte Körper, dann Close-ups von Händen

sekt fuer alle 2Bordello ist eine Performance, mit der sich die Künstlerin ganz bewusst in eine absolute Männerdomäne begibt, eines der unzähligen kleinen Bordelle in Istanbul. Selbstbewusst bietet sie sich zum Verkauf an und schreckt mit dieser provokanten Geste der Selbstbestimmung jeden potenziellen Kunden ab. Gleichzeitig erteilt sie einen kleinen Seitenhieb gegen den Kunstbetrieb und benennt das Etablissement um in Museum für Moderne Kunst. Şükran Moral adressiert in ihren Werken, die oft performativ angelegt sind, klassische Themen der emanzipativen Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre und überträgt diese in souveräner Weise in die gesellschaftlichen Strukturen konservativer und autoritärer Systeme. Das Werk von Şükran Moral verdeutlicht auch die Ungleichzeitigkeit gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen.

Dies gelingt Moral auch in ihrer Performance Hamam von 1997. Das Edith-Russ-Haus zeigtsie als Dreikanalinstallation. Man sieht die Künstlerin in einem traditionellen türkischen Badehaus, das Männern vorbehalten ist. Inmitten einer größeren Gruppe von ihnen sitzt sie auf heißen dampfenden Kacheln. Ähnlich wie bei der Dreierhochzeit verwandelt sich die Künstlerin auch hier keinesfalls in einen Mann. Sie nimmt vielmehr die Befugnisse und Gewohnheiten von Männern als Frau für sich in Anspruch. Sie lässt sich den Körper abschrubben, mit Obst füttern und Sekt nachschenken. Die auf drei Monitoren parallel laufenden Bilder verstärken sich gegenseitig. Man sieht schwitzende nackte Körper, dann Close-ups von Händen, Mündern, Brüsten. Die Szene wird ekstatisch. Şükran Moral provoziert nicht. Alle verhalten sich ganz normal. Es ist die Schönheit dieser neuen Normalität, die provoziert.

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