Osmanisches Reich - Vorzüge Harem bei Erziehungsfragen?

Osmanisches Reich - Vorzüge des Harems bei Erziehungsfragen?

In der modernen Welt vertragen sich Türkische Werte gut mit dem Leben im Harem der osmanischen Dynastie. Diese Meinung vertrat jüngst Emine Erdogan, die First Lady der Türkei – und hat damit einen Proteststurm nicht nur in den sozialen Medien ausgelöst.

Der Harem war für Frauen eine Schule fürs Leben, sagt die Gattin des türkischen Präsidenten Erdogan. Ein Sturm der Entrüstung folgte.

„Der Harem war für Mitglieder der osmanischen Dynastie eine Schule und eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden“, hatte Emine Erdogan nach Angaben von Fernsehsendern am Mittwoch in Ankara gesagt. Im Harem galten zwar strenge Regeln, die auch für den Sultan galten, auch genaue Vorschriften für die Auswahl und Ausbildung der Haremsfrauen, die in Bereichen wie Literatur, Musik oder Fremdsprachen geschult wurden – allerdings nur zur Unterhaltung des Sultans, dem einige der Frauen auch sexuell zu Diensten sein mussten.

In den sozialen Medien sorgten die Äußerungen der First Lady für wütende Kommentare. Eine Nutzerin empörte sich gar auf Twitter: „Die Haremsfrauen wurden entführt und vergewaltigt, und selbst kleine Kinder entkamen der Tortur nicht!“ Letztlich waren sie im Osmanischen Reich Sexsklavinnen des Sultans.

Dabei bezeichnet der Ausdruck Harem (von harim „Heiliger, unverletzlicher Ort) eigentlich einen abgeschlossenen und bewachten Wohnbereich eines Serails oder Hauses, in dem die Frauen, die weiblichen Angehörigen und die unmündigen Kinder eines muslimischen Würdenträgers oder Familienoberhaupts lebten (im Gegensatz zum Selamlık). Im Bewusstsein und in der Vorstellung der Europäer sind der Harem als Ort und der Harem als Ansammlung von Frauen abhängig von den Phantasien und Mythen, die sich um den Harem der osmanischen Sultane ranken.

„Die Geschichtsschreibung der islamischen Länder schweigt über Frauen. Dies gilt insbesondere für ländliche Frauen und Frauen der Unterschichten. Aber auch die Hofchroniken enthalten kaum Auskünfte über das Leben der Haremsbewohnerinnen: Der Harem blieb als Wohnort, Erziehungsanstalt und sozialer Raum geheimnisvoll und unerforschlich.“ – Elçin Kürsat

Die Sicht auf den Harem der osmanischen Sultane als Ort von Polygamie und Vielweiberei zeigt sich beispielsweise auch in einem Bericht des osmanischen Dolmetschers und Chronisten Osman Ağa aus Temeschwar (* um 1671; † nach 1725), der sich an die Vorschriften des Korans anlehnt:

„Bei uns fügen sich die Frauen gemäß unserem Glauben dem Gebote Allahs und dem Worte Seines Propheten. Wer es leisten kann, darf sich vier Ehefrauen nehmen und dazu so viele Kebsweiber halten, wie er eben vermag. Diesbezüglich haben unsere Frauen kein Wort der Widerrede zu verlieren.“ – Osman Ağa: Aus seinem Gespräch mit Prinzessin Lubomirska, Gattin von Fürst Sieniawski

b_450_450_16777215_00_images_geschichte_enderunil-harem.jpgEin Harem mit mehreren Ehefrauen oder Nebenfrauen war im Osmanischen Reich allerdings nicht allzu häufig anzutreffen. In den arabischen Provinzen gab es wahrscheinlich eine größere Verbreitung als in den europäischen und anatolischen. So hatten im 19. Jahrhundert in Nablus 16 % der muslimischen Männer mehr als eine Frau, in Damaskus waren es 12 %, in Istanbul hingegen nur 2 %.

Der Harem des osmanischen Sultans war der größte seiner Zeit. Im Topkapı-Palast gab es über 300 Räume, die für den Harem von manchmal mehr als 800 (anno 1633) Frauen bereitstanden. Doch war der Harem vom 16. bis ins 19. Jahrhundert nicht nur ein Ort des von Regeln bestimmten sexuellen Vergnügens für den Sultan, sondern mehr noch ein Ort der dynastischen Reproduktion und damit ein Ort der Familien- und somit der Reichspolitik.

Im Harem des Sultans herrschte eine strenge Hierarchie. An der Spitze stand die Sultans-Mutter (Valide Sultan), nach ihr folgten die Prinzessinnen osmanischen Geblüts (Sultana), dann kam die erste Hauptfrau, die Mutter von Kindern des Sultans (nach der Geburt eines Sohnes wurde eine neue Kadın ausgewählt), danach die Favoritinnen, sodann die Ikbal und die Gözde (die der Sultan erblickt hat, und die des Sultans Taschentuch bekommen haben), die Haremsdienerinnen, die Harems-Schülerinnen (Palastsklavinnen) und am Ende die Arbeitssklavinnen. Die Sultansmutter hatte großen Einfluss auf den Harem, da sie als ehemalige haseki am besten über die örtlichen Gepflogenheiten Bescheid wusste. Sie suchte dem Sultan fast immer die neuen Ikbal für sein Schlafgemach aus. Auch versuchte sie, Monogamie zu verhindern, damit keine Frau zu viel Einfluss gewinnen konnte. Die nächst wichtige Person im Harem war der oberste der Schwarzen Eunuchen (Kızlar Ağası). Dieser kontrollierte die Arbeit aller anderen Eunuchen, deren Aufgabe darin bestand, die Frauen des Harems zu unterrichten und für deren Körperpflege zu sorgen, sowie Geldangelegenheiten des Harems zu regeln. Der Kızlar Ağası war auch das Bindeglied zwischen dem Harem und der Außenwelt.

Die aus dem Harem vom Sultan für sich ausgesuchten Bettgenossinnen nannte man Ikbal (ikbâl - die nur eine Nacht mit dem Sultan verbrachten), diese wurden dann eventuell zu Kadinen; sie führten streng abgeschlossen im Serail ihren eigenen Hofstaat mit Eunuchen und Haremsdienerinnen. Alle Kinder des Sultans, ob von Haupt- oder Nebenfrauen, galten als legitim.

Die Damen des Harems waren fast ausschließlich nicht-moslemischer Herkunft aus vielen Ländern, da es verboten war, Muslime zu versklaven.

Die Harems-Schülerinnen wurden in vielen Fertigkeiten unterrichtet, so lernten sie türkisch lesen und schreiben, Näh- und Stickarbeiten, Tanzen, Singen und Musizieren. Sie wurden dann oft an Würdenträger verheiratet, so sie nicht im Sultans-Harem verblieben. Dort waren sie für den persönlichen Dienst bei den höherrangigen Damen oder sogar beim Sultan vorgesehen. In diesem Falle wurden sie gedikli / „die Auserwählten“ genannt. Aus ihren Reihen wählte der Sultan (oder die valide sultan) seine neuen Ikbal. Unmittelbar der Sultansmutter unterstand die kahya kadın, die Oberaufseherin des Harems.

Üblicherweise lebten auch die ledigen Töchter des Sultans (sultana) im Harem. Für sie diente er ebenfalls zur Erziehung. Wenn eine osmanische Prinzessin an einen hohen Würdenträger verheiratet wurde, so hatte dieser eine sehr große Morgengabe zu entrichten, meist einen Palast am Bosporus-Ufer für seine neue Gattin. Eine eventuell bestehende Ehe oder einen vorhandenen polygamen Haushalt hatte er unverzüglich aufzulösen. Dieser Sultans-Schwiegersohn stand dem Rang nach lebenslang unter seiner Gemahlin und lebte meist auch getrennt von ihr.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Harem ein bedeutendes Machtzentrum im Herrschaftsgefüge des osmanischen Reiches. Die Lieblingsfrauen, Mütter und Großmütter der Sultane wie Roxelane, Frau Süleymans I., oder Kösem Mahpeyker, Frau Ahmeds I., Mutter Murads IV. und İbrahims sowie Großmutter Mehmeds IV., übten entscheidenden Einfluss aus, weswegen man diese Zeit als kadınlar saltanatı (Weiberherrschaft) bezeichnete.

Nachdem am 24. April 1909 Truppen der Jungtürken den Harem des abgesetzten Sultans Abdülhamid II. gestürmt, den Obereunuchen an einer Laterne der Galatabrücke gehängt und die Sklavinnen und Eunuchen freigelassen hatten, wurden die Familien der Sklavinnen, soweit sie aufzufinden waren, aufgefordert, ihre Töchter aus Konstantinopel abzuholen und heimzubringen (meist in den Kaukasus). Doch für viele ehemalige Haremsbewohnerinnen blieb nur der Ausweg, sich für Geld im Abendland bestaunen zu lassen. Bei einer Völkerschau in Wien vor dem Ersten Weltkrieg war eine solche Gruppe von Frauen und Eunuchen zu sehen.

Mustafa Kemal Atatürk, der Begründer der modernen Türkei, verbot die Vielweiberei für die Republik. Tunesien ist erst der zweite Staat in der islamischen Welt, in dem Polygynie ebenfalls gesetzlich verboten ist, in anderen islamischen Ländern ist sie erlaubt und wird auch praktiziert.

In den sozialen Netzwerken sorgten die Äußerungen der First Lady für wütende Kommentare. Präsident Erdogan hatte bereits zum internationalen Frauentag am Dienstag Proteste hervorgerufen, als er sagte, für ihn sei eine Frau „in erster Linie eine Mutter“. Dem Staatschef wird seit langem vorgeworfen, die Gesellschaft stärker entlang islamischer Werte ausrichten zu wollen und damit die Rechte der Frauen zu beschneiden.

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