Mechanisches Puppentheater an der Krämerbrücke von Erfurt

Mechanisches Puppentheater an der Krämerbrücke von Erfurt

Wir waren mit der Straßenbahn von unserer Unterkunft zum Anger, dem zentralen Platz der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt gefahren, waren dann über den langgestreckten Platz in Richtung Krämerbrücke gelaufen.

Die Krämerbrücke mit ihren historischen Fachwerkhäusern und den so sehenswerten Erkern bildet für uns eine der Hauptattraktionen von Erfurt. Nach dem Überqueren der Krämerbrücke wurden wir auf eine Ansammlung von Passanten aufmerksam, die interessiert und begeisternd applaudierend vor einem Schau Fenster standen. Natürlich war auch unser Interesse unmittelbar geweckt.

Mechanisches Puppentheater „Theatrum mundi“ genannt

b_450_450_16777215_00_images_kultur_theater_theatrum-mundi-1.jpgNach einer Weile löste sich dann die Ansammlung der Passanten auf, so dass auch wir näher an das Schaufenster herantreten konnten. Zunächst sahen wir nur einen großen dunkelroten Vorhang einer Bühne, links davon eine Puppenfigur, die im Buch Odyssee las. Ein Münzeinwurf brachte uns schnell auf den richtigen Weg, denn der Vorhang dieser Bühne sollte sich zum mechanischen Puppentheater öffnen. Schnell waren Münzen eingeworfen, die Show konnte beginnen.

Schöpfer dieses Theatrum Mundi ist der Puppenbauer und Bühnenbildner Martin Gobsch, der sich deshalb, hier stadtbekannt, auch Mechanikus nennt. Im Fenster seiner Werkstatt verlockt das mechanische Puppentheater seit mehr als drei Jahren Touristen und Erfurter zum Hingucken. Mit dem Einwurf einer Münze setzt sich die Szenerie in Gang und erzählt von den Erlebnissen und Abenteuern des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg. Die Odyssee ist neben der Ilias das zweite dem griechischen Dichter Homer zugeschriebene Epos, womit es zu den ältesten und einflussreichsten Dichtungen der abendländischen Literatur gehört.

Ein Bestandteil von Puppentheater-Programmen im 19. Jahrhundert war häufig ein „Theater im Theater“, ein „Theatrum mundi“ oder „mechanisches Puppentheater“ mit bunt bemalten Figuren aus Pappe oder Blech, die auf mehreren Laufschienen über die Bühne gezogen wurden.

Theaterdirektor auch ein Mechanikus mit viel Verstand

b_450_450_16777215_00_images_kultur_theater_theatrum-mundi-2.jpgDie einzelnen Figuren wurden dabei durch Exzenter-Räder und raffinierte Übersetzungen bewegt. Der Puppentheater-Direktor des jeweiligen Theaters baute diese mechanischen Schaubühnen wie auch seine Marionetten bzw. Fantoches oft selbst und bezeichnete sich deshalb stolz als „Mechanikus“.

Als ein Vorläufer der Kino-Wochenschau ließ das Theatrum mundi die Zuschauer nicht nur einen Blick in die Literaturgeschichte tun, sondern oftmals auch einen Blick in die weite Welt. Es war eine Maschinenkomödie im Kleinen. Die Vorstellung aktueller Ereignisse wechselte im Programm mit exotischen und lehrreich-unterhaltsamen Bildern. Panoramaähnliche Dekorationen, Licht- und Geräuscheffekte sowie rasche Verwandlungen mit Klappkulissen belebten die Darstellung von Schlachten, Jahrmärkten, biblischen und historischen Szenen, geographischen Bildern im Wandel der Jahreszeiten mit bewegter See, Gewittern, Mondschein und Vulkanausbrüchen.

Der Ausdruck Theatrum mundi „entspricht der Weltanschauung, in der das ganze Welttreiben ein vorüberziehendes Schauspiel ist und infolgedessen jedes menschliche Wesen seine vom Schicksal (in der Antike) oder von Gott (im christlichen Theater) auferlegte Rolle zu spielen hat“. Als literarisches Motiv und Gleichnis ist er in der römischen Antike seit den Stoikern und im Mittelalter von Augustinus an verbreitet. Im Barocktheater, bei Lope de Vega, Pedro Calderón de la Barca und Shakespeare wird oft in Monologen der Hauptfiguren über den Schauspiel-Charakter des Lebens philosophiert, über seine Flüchtigkeit, Äußerlichkeit oder Fremdbestimmtheit.

Werbeanzeige Zeitung 1920 zum Besuch des mechanischen Theaters

b_450_450_16777215_00_images_kultur_theater_theatrum-mundi-3.jpgMan verwechsle das mechanische Theater nicht mit einem Panorama oder irgendeinem anderen Institut, in welchem man durch Gläser sieht, sondern man denke sich vielmehr ein wirkliches Theater, bei welchem die handelnden Wesen durch einen sinnreichen und kunstvollen Mechanismus wie belebt auf der Bühne erscheinen. Während aber bei einem wirklichen Theater die Verwandlungen der Szenerien fast ausschließlich hinter geschlossenem Vorhang erfolgen, vollziehen sich hier die Veränderungen in stetem Gange ohne Unterbrechung der Handlung vor den Augen des Beschauers. In endloser Folge wechseln Landschaft und Himmel, Nacht und Tag, Sonnenschein und Gewitterluft. Bald ist der Vordergrund das blaue Meer mit seinen schäumenden Wellen, auf denen Dreimaster und Dampfschiffe kommen und gehen, bald ist es die Landstraße oder das freie Land, wo Menschen und Tiere in freiester Weise agieren. Kein leitender Draht, keine regierende Hand ist dabei zu sehen, nicht verrät das wunderbare Getriebe. Nur die geistreich benutzten Forschungen auf dem Gebiet der Mechanik und die angewandten Erfahrungen ermöglichen die reiche Handlung. Kunst und Mechanik feiern in diesem Theater gleiche Triumphe.“

Das Theatrum mundi galt bereits als ausgestorben. Nur Reste davon findet man in Museen und Archiven. Das mechanische Theater, bei dem auf mehreren Laufbändern hintereinander Flachfiguren mit kunstvollster Mechanik geschichtliche Großereignisse wie die Schlacht von Waterloo, das Erdbeben von Lissabon oder den Karneval in Venedig darstellten, war auf Jahrmärkten oder als Attraktion im Anschluss an ein Marionettentheater immer ein Anziehungspunkt für die Besucher.

Auch wenn das Bühnenbild hier an der Krämerbrücke nicht wechselte, so war allein die Mechanik der sich bewegenden Figuren beeindruckend. Ein Muss während des Besuchs in Erfurt. Ihnen viel Spaß dabei.

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