Amsterdam - Toleranz von Homosexualität als Kulturerbe?

Amsterdam - Toleranz von Homosexualität als Kulturerbe?

Beim Versuch doch noch Eintrittskarten für das Van-Gogh-Museum in Amsterdam zu bekommen (hier lagen zu dem Zeitpunkt 4 – 6 Wochen Vorbestellzeiten an), waren wir auch über den so genannten Museumsplein gekommen, wo uns die vielen, überwiegend doch unbekannten Staatsflaggen auffielen, die den Weg über die Grünfläche begleiteten.

Unser Interesse war geweckt, hatten wir doch schon unzählige Regenbogenflaggen an den Objekten in der Umgebung bemerkt: dass „Zero Flags Project – 67 to go“. Diese Flaggenparade sollte uns noch ganz gehörig zum Nachdenken bringen, zeigte sie doch die Staaten auf, in denen Homosexualität immer noch strafrechtlich verfolgt, ja sogar mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Unglaublich, welche Länder hier aufgeführt werden und wie teilweise unsere deutsche Sicht (und vor allem die der Wirtschaft) auf diese mit diesen Staaten vorherrscht. Menschenrechte werden mit Füßen getreten, doch dass scheint in der Geschäftspolitik und besonders übel auch im Sport keine Rolle zu spielen, hier nur der Verweis auf die WM im Fußball.

Ist Toleranz ein niederländisches Kulturgut?

lgbt 03Mit Blick auf linke und rechte Politiker, die sich bei nationalen Feiern der Homosexuellen wie den Amsterdamer Gay Pride und dem Roze Zaterdag (dt. Rosa Samstag) vordrängen, um ihre Aufgeschlossenheit gegenüber Homosexuellen zu zeigen, scheint die Akzeptanz Homosexueller in den Niederlanden eher niederländisches Kulturgut zu sein als ein noch anzustrebendes Ziel einer Emanzipationsbewegung.

Dass Neulingen in den Niederlanden Toleranz gegenüber Homosexualität als wichtiger Teil „der“ niederländischen Normen und Werte präsentiert wird, verstärkt das Bild noch. Auch international sind die Niederlande bekannt für ihre weitgehende gesetzliche Gleichbehandlung von Homosexuellen und Heterosexuellen. Zweifellos verantwortlich für dieses homosexuellenfreundliche Image ist, dass die Niederlande das erste Land der Welt waren, dass die Zivilehe für Partner gleichen Geschlechts ermöglichte.

lgbt 04Auf den ersten Blick scheint dann auch im 21. Jahrhundert die Akzeptanz der Gruppe von Männern und Frauen, die sich selbst als homo- oder bisexuell bezeichnen – etwa fünf Prozent der niederländischen Bevölkerung –, kein Grund zur Sorge mehr zu sein. Unter der Oberfläche erweckt die gegenwärtige Toleranz gegenüber Homosexualität jedoch den Eindruck, nicht ohne Wenn und Aber zu sein. Nicht nur nimmt das Gefühl von Unsicherheit auf der Straße bei homosexuellen Männern und Frauen in den letzten Jahren zu. Auch homosexuelle Schüler verüben fünfmal häufiger Selbstmordversuche als ihre heterosexuellen Klassenkameraden.

Aus regelmäßigen Studien des Sociaal Cultureel Planbureau (dt. Soziales und Kluturelles Planbüro, SCP) zur Akzeptanz von Homosexualität geht hervor, dass die niederländische Toleranz gegenüber Homosexualität bei vielen Niederländern an eine Voraussetzung geknüpft ist: Homosexuelle sollten nicht zu deutlich zeigen, dass sie homosexuell sind. Kurz gesagt, sie werden toleriert, solange sich Homosexuelle „normal“ verhalten.

83% der Niederländer fühlen sich wohl im eigenen Land

lgbt 05Wie kann man diese Situation verstehen – eine Situation, in der Toleranz gegenüber Homosexualität einerseits als niederländisches Kulturgut präsentiert wird, und diese andererseits nur unter der Vorgabe gilt, dass Homosexuelle nicht zu sehr vom durchschnittlichen Niederländer abweichen dürfen?

In einer weltweiten Befragung von Schwulen und Lesben befanden 83 % der Niederländer, dass sie sich in ihrem Heimatland wohlfühlen.

In Deutschland sagten das nur 62 % der Befragten. Damit befindet sich Deutschland lediglich auf Platz 19 von 123 Ländern - das sind nur einige Plätze vor Nicaragua mit 54 % (Platz 24) und Mexiko mit 53 % (Platz 25).

lgbt 06Weitaus konservativere europäische Staaten wie Spanien (Platz 4 mit 79 %) und Italien (Platz 18/ 63 %) liegen in dieser Umfrage ebenso vor Deutschland wie Uruguay (Platz 10/ 71 %) oder Brasilien (Platz 16/ 68 %).

Dieses Ergebnis lässt schnell die Frage aufkommen, ob Deutschland zu recht nur knapp in den Top 20 landete oder wir deutschen Lesben und Schwulen bei der Beantwortung der Frage:

„Is the city or area where you live a good place or not a good place to live for gay or lesbian people?” schlicht kritischer als andere Nationen sind.

Die meisten Länder sind keine Wohlfühlorte für LGBT

lgbt 07Das internationale Forschungsinstitut Gallup befragte im Zeitraum von 2009 bis 2013 jeweils 1.000 Homosexuelle zu ihrer Zufriedenheit im eigenen Land.

Allerdings fehlen in der Studie eine ganze Reihe von Ländern, wie Ägypten, Saudi Arabien, Iran, Irak, Nigeria, Bahrain, Kuwait und Usbekistan. Dort war es jeweils zu heikel, die oben beschrieben Frage überhaupt zu stellen.

Dennoch gibt die Befragung eine deutliche Abbildung des Wohlfühlfaktors von LGBT in ihren Heimatländern wieder:

Mit den Niederlanden, Island (82 %) und Kanada (80 %) in den Top 3 des Rankings zeigt sich, dass sich die Community vor allem in westlichen Ländern, in denen inzwischen zu großen Teilen die Homo-Ehe gesetzlich anerkannt ist, besonders wohlfühlt.

lgbt 09Dagegen war in etwa jedem vierten Land auf der Liste die Anzahl der "Nein"-Antworten höher als die der "Ja"-Antworten. Traurige Schlusslichter sind vier afrikanische - Äthiopien, Mali, Uganda und Senegal - und drei asiatische Staaten: Afghanistan, Indonesien und Pakisten. Jeweils nur 1 - 2 % der dort lebenden Lesben und Schwulen fühlen sich hier wohl.

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