Nach dem Studium wieder nach Hause

Nach dem Studium wieder nach Hause

Immer mehr Migranten mit Studienabschluss kehren der Bundesrepublik den Rücken. Trotz gleicher Qualifikation haben sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht die gleichen Chancen. Vor allem Türken zieht es in die Heimat.

Jeder dritte türkischstämmige Migrant in der Bundesrepublik trägt sich mit der Absicht, in die Türkei zurückzukehren. Das geht aus einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Duisburg/Essen hervor. Damit hat sich der Anteil der Rückkehrwilligen in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Bemerkenswert ist vor allem, dass es gerade junge Akademiker nach ihrer Ausbildung an einer deutschen Hochschule zurück in die Türkei zieht, und zwar nicht weniger als 35 Prozent. Bei einer Befragung des sozialwissenschaftlichen Instituts "Futureorg" nannten die meisten als Beweggrund, dass sie sich in Deutschlandtrotz ihrer Qualifikation ausgegrenzt fühlten. Dabei werden vor allem Ingenieure oder IT-Fachleute dringend gesucht. Insofern kann sich Deutschland, rein ökonomisch betrachtet, diese Rückwanderung eigentlich gar nicht leisten.

Deutsche werden bevorzugt

Auch die 29-jährige Hacer Aydin sitzt mehr oder weniger schon auf gepackten Koffern. Nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums der Wirtschaftswissenschaften vor einem Jahr hat sie sich bei über einem Dutzend deutschen Unternehmen beworben. Doch kein einziges hat sie wenigstens zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Ziemlich resigniert stellt sie fest: "Das ist ein wesentlicher Punkt, dass die deutschen Staatsangehörigen bevorzugt werden." Nicht in ihrem persönlichen Umfeld fühlt sie sich ausgegrenzt, sondern auf dem Arbeitsmarkt. Skeptisch zeigt sie sich auch, was die beruflichen Aufstiegschancen von Migranten inDeutschland betrifft.

Aus ihrer türkischen Community an der Ruhr-Universität Bochum haben sich darum schon einige junge Akademiker gen Türkei verabschiedet. Den Kontakt zu ihnen hat Hacer Aydin aufrechterhalten. Aus ihren Gesprächen weiß sie, dass türkischstämmige Akademiker nach einem Studienabschluss in Deutschland in derTürkei mit besseren Startchancen rechnen können, vor allem in der wirtschaftlich boomenden Region um Istanbul. Insofern fällt ihnen die Remigration nicht besonders schwer.

Lieber Schmidt als Yüksel

Dirk Halm von Zentrum für Türkeistudien kann eine Chancenungleichheit von türkischstämmigen Akademikern bei deutschen Unternehmen feststellen. Nüchtern erklärt er: "Es ist in der Tat schon so, dass das alleinige Kriterium der nichtdeutschen Herkunft bei ansonsten identischen Qualifikationen, auch in den letzten Jahren, wissenschaftlich nachgewiesener Weise ein Hindernis beim Zugang zum Arbeitsmarkt ist." Wenn der Bewerber nicht Schmidt, sondern Yüksel heiße, dann habe er die schlechteren Karten. Das sei beklagenswert, sagt Halm, und müsse dringend geändert werden.

Gesuchte Fachkräfte wandern ab

Nach Hacer Aydins Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld zieht es vor allem Akademiker in die Türkei, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt eigentlich dringend gesucht werden. Dazu gehören in erster Linie Wirtschaftswissenschaftler, Ingenieure sowie IT-Fachleute. Selbst mit einem Universitätsabschluss sind die Berufschancen der Kinder von Zuwanderern offenbar erheblich geringer. An sprachlichen Defiziten kann es in diesen Fällen - nach einem Hochschulstudium - kaum liegen. Nach Einschätzung von Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien fühlen sich diese Akademiker an den deutschen Universitäten durchaus integriert, nicht aber nach dem Studienabschluss auf dem Arbeitsmarkt. Da sehen die meisten eher schwarz und ihre Zukunft in der Türkei. Darum entschließen sich, wie Dirk Halm bestätigt, vor allem Absolventen aus den Bereichen Betriebswirtschaft und Technik zur Remigration - durchaus auch mit dem Ziel, sich selbstständig zu machen. In Deutschland würden sie für diesen Schritt kaum eine Chance sehen.

Neue Form von Heiratsmigration

Die auch nicht zu unterschätzende Rolle bei dem Entschluss, in die Türkei zurückkehren, spielt laut Halm außerdem eine Art Neubelebung der Heiratsmigration. "Aber nicht in Form von Heiratsmigration nach Deutschland, sondern auch in Form von Heiratsmigration von in Deutschland sozialisierten Migrantinnen und Migranten zurück in die Türkei, weil ein Ehepartner in der Türkei letztendlich auch in wirtschaftlicher Perspektive besser dasteht als als es noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall gewesen wäre, als die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei nicht so günstig und so dynamisch gelaufen ist."

Mit anderen Worten: Eine gute Partie in der Türkei kann für einen türkischstämmigen IT-Fachmann oder Ingenieur mit einem Examen aus Deutschland eine erfolgversprechendere Perspektive bieten als jede Bewerbung inDeutschland, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Angesichts der Aussicht auf eine berufliche Karriere im prosperierenden Großraum Istanbul schließt selbst die emanzipierte Wirtschaftswissenschaftlerin Hacer Aydin diese Möglichkeit für sich selbst nicht aus.

In Zeiten der Globalisierung läuft Deutschland angesichts der steigenden Zahl von hoch qualifizierten Rückkehrern augenscheinlich Gefahr, die Intelligenz seiner Migranten zu verschleudern. Zum Nachteil aller, und nicht nur unter volkswirtschaftlichem Blickwinkel.

Autor: Klaus Deuse

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