Die seldschukischen Karawansereien in Kleinasien

Die seldschukischen Karawansereien in Kleinasien

Zu den großartigsten und eindrucksvollsten Leistungen der seldschukischen Architektur zählen ohne Zweifel die Karawansereien, auch "Dome der Landstraße" genannt, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts überall in Anatolien und in den nördlichen und südlichen Randgebieten an den alten Handelswegen entstanden sind.

Nach dem Sieg über die Byzantiner im Jahr 1071 in der Schlacht von Manzikert in Ostanatolien errichteten die Seldschuken, die ihren Machtbereich sehr zügig nach Westen hin ausdehnten, ein geordnetes Staatswesen. Dazu gehörte auch, dass sie das alte römisch-byzantinische Straßennetz wieder in Stand setzten, indem sie die Straßen ausbesserten, neue Brücken bauten und vor allem den Handel durch die Errichtung von Rasthäusern, den sog. Karawansereien, sicherer machten. In den Zeiten der Unruhe und des Umbruchs waren die Handelswege durch räuberische Banden unsicher und der wirtschaftliche Niedergang unvermeidlich geworden. Die Seldschuken hatten mit den Venezianer im Jahre 1220 einen Vertrag abgeschlossen, der Venedig - den Pferde- und Viehhandel ausgenommen- weitestgehende Privilegien und Freiheiten im inneranatolischen Handel zusicherte, die ihrerseits als Gegenleistung für die hohen Abgaben und Zölle Sicherheit auf den Handelsrouten verlangten.

Karawansereien ermöglichen wachstum und kulturellen Austausch

Diese Entwicklung bescherte dem seldschukischen Reich eine Epoche des wirtschaftlichen Wohlstands und der kulturellen Entfaltung. Dies wurde nicht zuletzt durch die Einrichtung der Karawansereien ermöglicht, die an den Hauptrouten in einem Abstand von ca. 30km, das entsprach der Tagesleistung einer Karawane, errichtet wurden. Die Zentren des Straßennetzes waren Konya und Kayseri, die Verteiler nach Osten. Daneben gewann Sivas als Anschlusspunkt an die Seidenstraße zunehmend an Bedeutung, ebenso wie die Verbindungen von der Küste des Schwarzen Meeres (Sinop), über die Zentrale Konya nach Süden, zu den Häfen Antalya und Alanya am Mittelmeer.

Stifter dieser bisweilen gigantischen Anlagen waren die Sultane selbst, vor allem Ala-eddin-Kaikobad I. und sein Nachfolger Giyat ad-din Kaichosrau II., aber auch Angehörige des Hofes.

Fensterlose Außenwände vermitteln Sicherheit der Karawansereien

Die Karanwansereien waren z.T. sehr wehrhaft erbaut, mit hohen fensterlosen Außenmauern, Wehrgängen und Wehrtürmen an den Ecken und meist nur mit einem Zugang, der in die Anlage führte, um sie so besser verteidigen zu können. Es bildete sich in der Hochzeit ein Bautyp heraus, der in dieser Form in der islamischen Welt einzigartig dastand, auch wenn persische Vorbilder  herangezogen wurden und armenische Baumeister den Bauten ihren Stempel aufdrückten.
Der einzigartige Denkmälerbestand umfasst 76 Bauwerke. Der älteste inschriftlich gesicherte Bau ist der Kizil Ören Hani westlich von Konya (1205/06) der jüngste der Cay Hani (1279/79) an der Straße Konya - Afyon in dem Städtchen Cay. Die großartigsten Schöpfungen sind die Sultan Hani aus den 30er und 40er Jahren des 13. Jahnhunderts bei Aksaray und Kayseri. Überwältigend sind die Ausmaße der größten dieser Karawansereien: der Sultanhani bei Aksaray erreicht mit 1430 qm fast die Größe des Kölner Doms. Der Bau dieser Anlagen fällt in die Blütezeit des seldschukischen Reiches unter dem bedeutendsten Herrscher dieser Epoche, Ala eddin Kaikobad I., in eine Zeit, in der auch der berühmte Derwischorden der Tanzenden Derwische durch Celal addin Rumi und seine Söhne gegründet worden ist.

Zusammenhänge in der Bauform zwischen Karawansereien und Zisterzienserkirchen

Es fällt auf den ersten Blick die Nähe zum spätromanisch-frühgotischen Kirchenbau der Zisterzienserkirchen Frankreichs ins Auge. Gibt es Zusammenhänge?
Die Steinmetzzeichen an den Außenmauern der Gebäude sind stets lateinisch-griechisch, georgisch oder armenisch, nie arabisch. So vermutet man, dass die Seldschuken nach der Eroberung  Anatoliens auf einheimische Baumeister zurück gegriffen haben, sofern diese nicht zuvor vor dem Türkeneinbruch nach Westen, so auch nach Frankreich, geflohen sind. So sind es wohl vornehmlich armenische und griechische Baumeister gewesen, die hier am Werke waren und die ihre Vorstellungen von einer großen Halle, eben einem kirchlichen Bau, umgesetzt haben. Die verwendeten Bauformen und -elemente finden sich auch in den französischen Kathedralen des 12. Jahrhunderts wieder. Denn eins ist auffällig: die überdimensionale Höhe und Ausführung der Halle ist auf den Zweck bezogen, als Aufenthaltsraum für die Tiere und die Waren zu dienen, völlig disfunktional. 

Karawansereien - Als Grundriss dienten zunächst die Basiliken

Als Prototyp für den Bau einer Karanwanserei entwickelte sich eine Doppelanlage, mit einem großen kathedral- ähnlichen Gebäudeteil, dem "Wintersaal", der auf einem mehrschiffigen Basilikalgrundriss beruhend und von Tonnengewölben überdacht in einer achteckigen Laterne im Mittelschiff gipfelte. Durch die in luftiger Höhe eingefügten schlitzförmigen Fenster erhielt die Halle nur wenig Licht.  Dieser imposanten Halle vorgelagert lag ein Hof, teilweise etwas größer im Grundriss, teilweise identisch, mit Arkaden auf der einen und geschlossenen Räumen auf der anderen Seite für die Händler und ihre Waren, aber auch für Dienstleistungsbetriebe, die in den Karawansereien üblich waren, wie  Bäder, Barbierstuben, Küchen, aber auch Räume für die Wachmannschaften und für Musiker und Märchenerzähler. In der Mitte des Hofes stand, vor allem in den größeren Karawansereien eine kleine Moschee, die sich auf einem Unterbau aus vier hufeisenförmigen Bögen erhob. Mit dem Boden nur leicht durch eine doppelseitige Treppe verbunden, scheint sie über dem geschäftigen Treiben zu schweben. 

Märchenerzähler und Wasserpfeifen nach der Tagesarbeit

Man stelle sich das bunte Leben in einer Karawanserei einmal vor. Bei der Abenddämmerung zogen die Karawanen ein; sie kamen aus allen Richtungen, aus Persien und vom Schwarzen Meer, aus Syrien und von der Westküste. Nachdem die Lasttiere abgeladen worden, die Waren verstaut waren, ein Gebet in der immer vorhandenen kleine Moschee, einer Medcit, verrichtet war und man zu Abend gegessen hatte, versammelte man sich im Hof. Die Wasserpfeifen wurden angezündet, die Fackeln verstreuten flackerndes Licht und man begann zu erzählen, Erfahrungen auszutauschen, über das Woher und Wohin und von den Schwierigkeiten der Reise zu berichten und hilfreiche Tipps zu geben. Musik erklang, man tanzte zu den einfühlenden Rhythmen und lauschte den Märchenerzählern. Manch einer beschloss, da der Aufenthalt in den Karawansereien für drei Tage kostenlos war, vielleicht doch den einen oder anderen Ruhetag einzuschieben. Karawansereien waren auch Nachrichtenbörsen, hier wurde über Preise und Märkte, über Handelsherren und Arbeitsbedingungen, über Gewinne und Verluste gesprochen.

Sultanhane bei Aksaray und bei Kayseri - überall stößt man auf Karawansereien

Die künstlerische Ausstattung der Karawansereien beschränkte sich auf die Portale, auf das Hauptportal am Eingang und das Portal, das in das Innere des Wintersaals führte, in dem die Lasttiere und die Pferde und der Großteil der Waren untergebracht waren, und auf die bisweilen in der Mitte des Hofes stehende kleine Moschee. Das typisch seldschukische Flechtornament umspannte die Eingänge in wieder neuen Kombinationen, florale Bänder, Flechtbänder, teilweise auch mit Tierdarstellungen vermischt verzierten die Portale, die jedes für sich einmalig waren. Es ist nicht bekannt, dass sich ein identisch geschmücktes Portal wiederfände. Im Laufe der Zeit haben sich natürlich die Formen der Rasthäuser und ihre Ausgestaltung verändert, auch hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten ihrer Stifter und Bauherren, so dass die Karawansereien an  den Hauptverbindungen deutlich größer und prächtiger waren als die an den kleineren Handelsrouten, z.B. über den Taurus an die Südküste. Die größten Karawansereien waren die beiden Sultanhane bei Aksaray und bei Kayseri und der Karatayhan auf dem Weg nach Sivas.
Wenn man vor der riesigen Karawanserei von Sultanhan bei Aksaray steht und im Hof und im Wintersaal dahinschlendert, kann man Adolf Körte nur zustimmen, der in seinem Tagebuch 1896 notierte: "Schwerlich hat jemals ein Herrscher der kulturhistorischen Bedeutung des Handels eine so glänzende Huldigung dargebracht, wie Alaeddin (Kaikobad I.) in diesem Bau, der jenen vollendeten Einklang von Schönheit und Zweckmäßigkeit zeigt, den ein jedes Volk nur kurze Zeit auf der Höhe eines Kulturlebens zu erreichen weiß."

Bis heute sind diese Profanbauten, die zum Teil wieder aufgebaut und restauriert sind, Zeugen einer großen Vergangenheit. und stets lohnenswerte Ziele für jeden Türkeireisenden. Es lohnt sich, die Zeugen dieser vorosmanischen Kultur zu pflegen, da sie doch die Bedeutung Anatoliens über die Zeiten hinweg für die kulturellen und traditionellen Werte, für Handel und Kultur dokumentieren.

- Wolfgang Dorn

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