In aller Munde – Der Gezi-Park von Istanbul

In aller Munde – Der Gezi-Park von Istanbul

Ein kleiner, fast schon unbedeutend zu nennender Park in Istanbul, hat in den letzten Wochen die Schlagzeilen der Weltpresse gefüllt und zurzeit ist noch kein Ende absehbar.

Nach den Besetzungen durch Demonstranten mit einhergehendem Aufbau einer Zeltstadt, ist der Park zwischenzeitig unter massivem Polizeieinsatz mehrfach geräumt und jetzt mit Blumen und Bäumen frisch gestaltet worden, so als sei nichts geschehen. Hat der Park selbst eine politische Bedeutung oder Relevanz? Auf einem Teilstück der heutigen Parkfläche befand über annähernd 400 Jahre bis in das Jahr 1930 hinein ein armenischer Friedhof, der nach dem Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 immer mehr an Bedeutung verlor. Fast die gesamte armenische Bevölkerung war zur Zeit des Osmanischen Reiches ermordet oder vertrieben worden, ein armenischer Friedhof wurde nicht mehr benötigt. In den folgenden Jahren traten weitere Zerstörungen ein, Marmorgrabsteine wurden verkauft oder in anderen Baumaßnahmen mit verwendet, so auch bei der späteren Errichtung des Gezi-Parks.

Freigewordenen Flächen von ca. 30 ha sollten die Grundfläche für einen Bürgerpark bilden

Aber der Reihe nach. Unter Präsident Atatürk, der eine moderne Türkei nach westlichem Vorbild schaffen wollte, wurden neben vielen politischen und wissenschaftlichen Experten auch Architekten und Planer ins Land geholt, so auch den französischen Architekten und Stadtplaner Henri Prost.

taksim gezi park 2Neben Teilen des Taksim Platzes sollte auch das Areal um den heutigen Gezi-Park herum neu gestaltet werden. Prost begann mit der Umplanung des Geländes im Jahr 1936, worin auch der Abriss der damals dort vorhandenen Topçu-Kaserne aus dem Jahr 1806 vorgesehen war. Der damalige Gouverneur und Bürgermeister Istanbuls, Herr Lüfti Kırdar ordnete in der Folge und auf Basis der Pläne Prosts, den Abriss der Topçu-Kaserne sowie des ebenfalls vorhandenen Taksim Stadions an. Die freigewordenen Flächen von ca. 30 ha sollten die Grundfläche für einen Bürgerpark bilden, der von Prost geplant und umgesetzt wurde.

Heute ist man sich nicht einig, ob die Fertigstellung des Parks im Jahr 1947 oder erst im Jahr 1951 erfolgte, in jedem Fall erhielt der Park seinen Namen „Inönü Park“ zu Ehren des zweiten Präsidenten der Republik Ismet Inönü. In den folgenden Jahren wurde durch den Bau von Hotels, auch des Marmara Hotels, die Parkfläche stark reduziert. Wichtig für die lokale Bevölkerung des Stadtteils Beyoğlu , blieb der Rest Park allerdings als Naherholungszentrum erhalten und wurde immer stark frequentiert. So entstand wahrscheinlich auch der heute so berühmte Name Gezi Park, der so viel wie „Spaziergang“ bedeutet. Den eigentlichen Namen des Parks kennt kaum jemand. Neben einem Springbrunnen in einem Rondell und einigen großen und etwa 70 Jahre alten Bäumen gibt es lediglich einige Parkbänke. Nichts Besonderes also im Moloch Istanbul – und doch so bedeutend?

Name Gezi Park, der so viel wie „Spaziergang“ bedeutet

taksim gezi park 3Als im September 2011 die Stadtverwaltung von Beyoğlu die teilweise Beseitigung des Parks beschloss, gab es zwar umgehend einige Proteste von Bürgern und Stadtplanern gegen die Beseitigung dieses Naherholungsgebietes, dem Fällen der Bäume im Park, aber wirklich ernst nahm niemand diese Gedanken. Als im Mai 2013 nach einigen weiteren, willkürlichen Großprojekten die türkische Regierung beschloss, an dieser Stelle ein Einkaufszentrum mit der originalgetreuen Fassadennachbildung der Topcu-Kaserne bauen zu lassen, entwickelt sich schnell eine Protestbewegung, die sich längst nicht mehr allein auf das Bauprojekt im Gezi Park beschränkt. Mit dem 28. Mai 2013 beginnt mit dem Anlaufen der Protestwelle auch ein neuer Zeitabschnitt in derTürkei. Mündige Bürger wollen in die Großprojekte einbezogen werden, sie wollen Mitspracherecht an Projekten, die ihre unmittelbare Umgebung, die Umwelt und Natur, kurz ihren Lebensraum, betreffen. Sie wollen die Ihnen von der Verfassung zustehenden Rechte der freien Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. Sie wollen keine Bevormundung von Seiten des Staates oder gar dessen Einmischung in die persönliche Entscheidungsfreiheit eines jeden Einzelnen.Wobei diese Themen immer stärker in den Vordergrund treten und somit auch in das Bewußtsein der Bürger vordringen.

In Deutschland, mit den Projekten Stuttgart 21, dem Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie – wollen die Bürger an den Entscheidungen, die letztendlich von ihren Steuern gezahlt werden, beteiligt werden.

In der Türkei geht es auch und vor allem um die persönlichen Rechte des Einzelnen, der sich in seiner Freiheit eingeschränkt wird und sich bevormundet fühlt.

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