Vor 10 Jahren - Necla Kelek - Türke, Türke über alles?

Necla Kelek - Türke, Türke über alles?

Die Rede von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Düsseldorf ist damals schon zu Recht scharf kritisiert worden. Was hat sich in der Zwischenzeit verbessert? Hier nochmals der Entwurf einer Rede, die er besser hätte halten sollen:

Am Morgen bevor der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan letzten Sonntag nach Deutschland kam, besuchte er einen Kinderschutzkongress in Istanbul. Er empfahl den Kindern, sich Fatih Sultan Mehmet, den Eroberer Konstantinopels, und Mustafa Kemal Atatürk, den Gründer der Türkei, zum Vorbild zu nehmen. Er sagte: "Ihr seid in dem Alter, als Fatih Istanbul eroberte. Ihr seid die Mustafas der Zukunft."

Wie ein Sultan vor seinen Untertanen im Hippodrom von Konstantinopel ließ sich Erdogan dann am Abend in Düsseldorf von seinen von Moscheevereinen ausgesuchten Türken in der Pop-Arena bejubeln und hielt eine Wahlkampfsonntagsrede, wie man sie nicht schlimmer befürchten konnte. Er hat nicht zu den assimilierten und integrierten Türken und Deutschen gesprochen, sondern zu seinen muslimischen Brüdern und Schwestern. Wäre Erdogan ein Staatsmann, der die europäische Idee durchdringt und der für Europa eintritt, der die Politik der Türkei reflektiert und für die Integration der Menschen in einer anderen Umgebung eintritt, hätte er sich nicht aufgeführt, als sei er auf Verwandtenbesuch in Düsseldorf. Er hätte eine andere Rede gehalten und zu allererst die Menschen nicht wie ein Abi, ein großer Bruder, geduzt, sondern sie respektvoll gesiezt. Und diese Rede hätte so lauten können:

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Sie mussten vor 50 Jahren Ihr Land, Ihre Heimat, Ihre Familien verlassen, weil die Türkei damals nicht in der Lage war, Ihnen Arbeit, Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und Ihren Kindern eine ausreichende Bildung zu geben. Dies bedaure ich zutiefst und bin unendlich dankbar für die Chancen, die Europa Ihnen in all den Jahren gegeben hat. Sie waren bereit, schwerste Arbeit unter schwierigsten Bedingungen anzunehmen, um in der neuen Heimat ein besseres Leben aufzubauen. Unsere beiden Länder profitierten von Ihnen. Deutschland von Ihrem Fleiß und wir von Ihrer finanziellen Unterstützung, die Sie für die Familien in der Türkei geleistet haben, und all den Häusern, die Sie dort gebaut haben.

Ich weiß, dass viele mittlerweile in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben und viele von Ihnen sich entschieden haben, Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu werden. Damit haben sie gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung für Ihre neue Heimat zu übernehmen und die Gesellschaft dort mitgestalten zu wollen. Ihre Kinder sind somit Teil der deutschen Gesellschaft und sprechen die Sprache dieses Landes. Das ist beispielhaft. Unter Ihnen sind Ärzte, Unternehmer, Schriftsteller, Arbeiter und Beamte. Und ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf diesem Weg.

Es gibt auch diejenigen unter Ihnen, die in beiden Kulturen, der türkischen und der deutschen, zu Hause sind. Sie sind die Brücke, die das jeweils Beste für sich aus beiden Kulturen leben und zu uns bringen. Andere möchten gern zurückkommen, haben aber Angst, wie sie sich in der Heimat ihrer Väter zurechtfinden werden. Diesen Menschen werden wir helfen, sich in der Türkei zu integrieren. Denn wir brauchen ihren Erfahrungsschatz, um unser Land weiter aufzubauen und ein Teil Europas zu werden.

Doch da gibt es auch eine nicht unbeträchtliche Zahl unter Ihnen, die ihr Dorf nicht wirklich verlassen haben und hier ihre alten Traditionen weiter leben wollen, als sei nichts geschehen. Die auf diese Weise aber auch verhindern, dass ihre Kinder und Kindeskinder weiterkommen. Ich sage Ihnen, Sie müssen das Dorf auch im Geiste verlassen, denn auch in der Türkei haben diese Dörfer keine Zukunft. Ergreifen Sie die Chance, aus Ihrem Leben mehr zu machen, und helfen sie Ihren Kindern, auf die eigenen Beine zu kommen.

In Ihrem Gepäck war auch der Koran. Die Religionsfreiheit in Deutschland gibt Ihnen die Möglichkeit, Moscheen zu bauen und als Gläubige zu leben. Dies ist ein Menschenrecht, und wir sind der Meinung, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass dieses Menschenrecht auch in der Türkei gelebt werden kann. Christen sollen ihre Kirchen bekommen und die Aleviten ihre Cem-Häuser. Wir müssen unsere Religion so leben, dass sie für die Menschen da ist und Trost spendet. Dabei müssen wir auch überprüfen, ob im Namen der Religion überholte Traditionen und Gebräuche legitimiert werden. Denn Religion ist ein Teil unserer Freiheit und die Sache jedes Einzelnen.

Wenn wir eine gemeinsame Welt bauen wollen, dann müssen wir uns gemeinsam für Menschenrechte und das Recht jedes Einzelnen auf Freiheit und Glück einsetzen. Sie hier und ich an meinem Platz."

Erdogan hat dies alles nicht gesagt, und auch sein Ton war ein anderer. Er redete nicht wie ein Politiker auf Privatbesuch, sondern wie ein Sultan zu seinem Volk und gleichzeitig im schmeichelnden Ton eines großen Bruders. Er duzt sein Publikum und macht jeden Türken zum Teil seiner Familie. Er ist das Oberhaupt, das man zu lieben und dem man Respekt zu erweisen hat. Er sagt, ihr seid Türken und ihr bleibt Türken, ganz gleich, wo ihr lebt, ob ihr einen deutschen Pass habt oder nicht. Dass es die türkischen Behörden mit allen Mitteln zu verhindern suchen, dass ein Türke seinen Pass abgibt, bleibt ungesagt. Ja, Erdogans Konsulate schicken den Ex-Staatsbürgern den türkischen Pass hinterher. Jetzt sollen sie auch eine "mavi kart", eine blaue Karte bekommen, die sie faktisch für immer an das Land ihrer Herkunft binden soll. Einmal Türke, immer Türke?

Er sagt, werdet Ingenieure, Doktoren und Ärzte, aber macht das für uns. Erzieht eure Kinder im Glauben, bringt ihnen zuerst Türkisch bei, macht mit, aber passt euch nicht an. Er spielt sich als Schutzmacht der Türken in Deutschland und in Libyen auf, als sei die Situation vergleichbar und die Türken in Deutschland rechtlos wie unter Gaddafi. Indirekt ruft er die Türken zur Illoyalität gegenüber Deutschland auf nach dem Motto: Türkei zuerst. Er vermittelt den Türken, sie seien die Botschafter des Türkentums und des Islam. Er wiederholt mit anderen Worten seine Rede an die Kinder: "Ihr seid Fatih Sultan Mehmet und ihr seid Atatürk."

Quelle: Welt

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