Der Deutschländer Kutte / Susanne Simon

Der Deutschländer Kutte / Susanne Simon

Herr Agdogan, genannt Kutte, geboren 1964 in Ankara, lebt seit 30 Jahren in Neukölln. Er arbeitet bei der Firma Osram, hat drei Kinder aus erster Ehe und eine Lebensgefährtin.

"Wir sind wie Schafe oder Puppen, die man bewegt," erklärt Kutte in breitem Berlinerisch. "Von oben steuern uns par Leute, wie se det grade wollen. Heute haben sie es mit den Religionen. Produzieren einen Streit über Karikaturen. Ich sage dir, stell dich auf die Straße und guck in die Luft. Der erste, der dir hinterher guckt, findet das blöd, kiekt aber trotzdem. Nach fünf Minuten kieken schon zehn Leute. So funktioniert det. Wird was hoch gepuscht. War den Deutschen doch früher ejal, ob ick an nen Stuhl, nen Stein oder an Gott glaube. Die wollten nur wissen, welche Rasse ich bin: Türke – okay - Scheißmensch." Kutte lacht charmant.

"Ick habe hier gelernt, gearbeitet und sogar für Deutschland geboxt. Da haben alle begeistert geschrien: 'Kutte! Kutte! Super!' Kaum war ich raus aus dem Ring, war ich bloß der Türke. Hab mal versucht, mir ne gute Wohnung in Buckow zu mieten. Was die alles von mir haben wollten - bis zum polizeilichen Führungstrallala. Und nachdem wir geredet haben, fragt die Vermieterin, ob ich deutsch kann. 'Mensch, junge Frau', sag ick, 'wat habe ich gerade getan? War det chinesisch oder arabisch?' 30 Jahre kennen die Leute mich in Neukölln. Bin ja viel mit Deutschen zusammen. Habe mal eine Kneipe gehabt. Nur für Deutsche. Damit es keinen Streit gibt. Nicht, dass da zweiTürken mit sieben Deutschen am Tisch sitzen und über die anderen hinweg laut wie Pavarotti türkisch reden. Habe mich im Hinterraum versteckt, damit Ali und Hassan vorbeigehen. Hätten sie mich hinter den Deutschen am Tresen gesehen, wären sie natürlich rein gekommen.

bauchfrei, Piercing, Trallala

b_450_450_16777215_00_images_turkey_H_Hoffmann_Struwwel_23.jpgFragte mich einer, 'ist det nich verboten? Alkohol?' Sag ick: 'Wo? Hier in der Kneipe?' 'Du bist doch Mohammedaner,' sagte er. 'Na und?', sage ich, 'beschnitten bin ich auch. Und Allah kommt hier nicht rein.' Was soll ich sonst antworten? Sollte ich den 50-Jährigen aufklären. Und es hört nicht auf. Ick habe eine Tochter. 'Trägt deine Tochter ein Kopftuch?' So wat Bescheuertes. Die zieht sich modern an: bauchfrei, Piercing, Trallala. Sie spricht so gut türkisch wie Ali deutsch spricht, wenn er frisch nach Deutschland gekommen ist." Kutte lacht. "Ja, mein Kiez. Hier spielt sich alles ab. Bei Osram fragen sie mich, weil ich allein erziehender Vater bin, 'wat? Haste deine Frau umgebracht?' Ist natürlich ein Scherz unter Kollegen, aber so was hat immer nen Kern. Sag ick: 'Ne, bin geschieden.' 'Wat, bei den Türken gibt's Scheidung?' Sone blöden Fragen. Det müsste das deutsche Volk doch langsam wissen, wie det läuft. Es gibt Mohammedaner und fanatische Mohammedaner. So wie es Fußballfans und Hooligans gibt. Der eine geht traurig nach Hause, wenn sein Verein verliert, der Andere haut einem den Stuhl auf den Kopp. Ich heirate eine Frau, wenn ich der Meinung bin, dass ich sie liebe. Und dann möchte ich sie auch zeigen können. Warum sollte ich sie wie eine Mumie neben mir herlaufen lassen? Und Schweinefleisch esse ich auch. Oh!" Kutte lässt seine Pupillen rollen. "Bin ick jetzt keen Mohammedaner?"

"Türke bleibt Türke. Du kannst nicht aus ner Kartoffel einen Döner machen. Im Innern ist was. Das kannst du dehnen oder du sagst, gut diese Angewohnheit ist hier unnötig. Aber einiges muss bleiben, zum Beispiel der Respekt vor Älteren oder die Liebe zu den Kindern. Ich habe mit meiner deutschen Lebensgefährtin eine große Familie. Wenn ich koche, alle am Tisch sitzen und zusammen essen, das liebe ich. Ihre Kinder nennen mich Papa und Sultan. Das Enkelkind sagt Opa. Das muss man erst mal schaffen. Dazu gehört viel Geduld und Fingerspürgefühl. Bei uns funktioniert's schon sechs Jahre. In der Türkei könnt ick nicht mehr leben. Nach drei Wochen Besuch reicht es mir. Klar, da habe ich Meer, Sonne und meine Geschwister. Aber ich bin das langsame Tempo da unten nicht mehr gewöhnt. Die Städte wie Ankara und Izmir sind natürlich modern, aber geh mal nach unten. Wenn du dich da mit nacktem Oberkörper vor geöffnetem Fenster streckst, kommen die Nachbarn von Gegenüber auf andere Gedanken. 'Eh, willst du meine Olle anmachen oder wat!' Hier kann ich mich vorm Fenster recken und strecken, wie ich will. 'Eh, tolles Wetter. Hallo Hans!' Det war's. Sagt dir keiner, warum hast du jetzt gewunken. Für die Türken in der Türkei bin ick ein Fremder. Hier Ausländer und dort Deutschländer. Man bleibt dazwischen. So is det."

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